Die Andere, Wochenzeitung für Politik, Kultur und Kunst, Ausgabe 14 1991, Seite 15

Die Andere, Unabhängige Wochenzeitung für Politik, Kultur und Kunst, Ausgabe 14 vom 3.4.1991, Seite 15 (And. W.-Zg. Ausg. 14 1991, S. 15); mmrnm 14/91 Staatsbürgerkunde 15 Bruch mit dem Kommunismus Zu einem Buch über autobiographische Schriften von ehemaligen Kommunisten im geteilten Deutschland Herrmann Kuhn nennt sein Buch „Bruch mit dem Kommunismus“. Dabei ist „Kommunismus“ für Kuhn die Partei, die KPD bzw. SED. Für den größten Teil der von ihm behandelten Autoren ist aber umgekehrt die Partei nicht gleichgesetzt mit Kommunismus, jedenfalls nicht mit dem, was als die Idee des Kommunismus ausgemacht werden kann. Daß der Kurz-Schluß im Titel nicht Unterstellung ist, beweist Kuhn mit durchaus differenzierter Betrachtung der einzelnen Autobiographien und indirekt mit seiner eigenen politischen Biographie: Geboren 1945, ist Kuhn nach Studium der Literatur-und Politikwissenschaften über zehn Jahre im Kommunistischen Bund Deutschlands tätig („Wir wollten die ganze kommunistische Bewegung neu erfinden“). Daß die Betroffenheit im Buch selbst außen vor bleibt, mag man bedauern. Gerade aber die methodische Beschränkung auf das WIE der Autobiographien macht seine Qualität als ein Übersichts-Werk mit der Möglichkeit, die aufgezeigten Linien weiterzudenken - wie könnte/müßte Selbstbefragung von Genossen beschaffen sein, die ihren Bruch mit der Partei - wie auch immer - erst neulich vollzogen haben. Die schließlich große Fülle der Autobiographien von Ex-Genossen beginnt in Deutschland erst eigentlich 1950 mit dem Sammelband „Ein Gott, der keiner war“ (Arthur Koest-ler u. a.). Ähnlich wie in anderen fast gleichzeitig erscheinenden Lebensbeschreibungen (vor allem in der von Margarete Buber-Neumann) zeichnen sich hier schon übergreifende Gemeinsamkeiten auch mit den späteren Schriften ab. Da ist zum einen die zentrale Rolle, die der Faschismus für das Engagement der Autoren in der Kommunistischen Partei spielt. Er ist für die intellektuellen Autoren zumeist direkter Anlaß für den Eintritt in die KP und lange Zeit ausreichender Grund, Kritik und Zweifel an der Partei zugunsten des antifaschistischen Kampfes zu verdrängen. Modifiziert bzw. übergeleitet wird die totale Konfrontation zum Faschismus in die Konfrontation des kalten Krieges. Wieder ist es das rigide „Wir oder Sie, Entweder-Oder“, das eine Loslösung von der Partei lange verhindert. Auch Wolfgang Leonhards Standardwerk „Die Revolution entläßt ihre Kinder“ ist geprägt von dem Grundmuster des „aufgehaltenen Bruchs“. Damit ist eine zweite bezeichnende Gemeinsamkeit der meisten Autobiographien von Ex-Genossen angerissen: Sie alle sind vom Ende her geschrieben, vom Bruch. Folglich ist die innere Struktur der Bücher bestimmt von dem Bedürfnis, sich zu erklären, sich zu rechtfertigen: Warum ich dabei blieb. Alfred Kantorowitz erweitert die Frage sogar noch buchstäblich: Warum ich erst jetzt komme -an seine neuen Landsleute im Westen, und: Warum ich schon gehe -an seine zurückgebliebenen Freunde gerichtet. Mit Kantorowitz beginnt die zweite Welle bekennender Autobiographien ehemaliger, mehr oder minder in führenden Positionen tätig gewesener, KPD-SED-Protagonisten. Bezeichnenderweise ist der Titel eines Sammelbandes von 1963 „Das Ende einer Utopie“ (Leo Bauer, Ralph Giordano, Hermann Weber, Gerhard Zwerenz u. a.). Nicht mehr - wie in „Ein Gott, der keiner war“ - das metaphysische Erschrecken vor dem gewesenen eigenen Glauben dominiert die Rückschau, sondern die Behauptung der persönlichen Identität, die Suche nach dem dritten Weg. Die Quasi-Gleichsetzung von Faschismus und Stalinismus durch ihre nebeneinandergesetzte Beschreibung als totalitäre Systeme ist gewichen einer Abrechnung mit dem System der DDR unter Beibehaltung der kritischen Haltung auch zum System der Bundesrepublik. Der emphatische Versuch, gegen alle Varianten der Lüge anzuschreiben, die eigene Wahrheit zu behaupten, macht, daß „Kommunismus“ nur die zeitweilige Benen- nung der unteilbaren Humanitas darstellt. Insofern war die Generation der 56er Autoren - sie alle hatten in der Nicht-Verarbeitung des 20. Parteitages der KPdSU ihr schließliches Schlüsselerlebnis für den Bruch mit der SED - nicht so ohne weiteres von einem simplen Antikommunismus zu instrumentalisieren. Aber auch bei diesen Autoren fällt auf - und sicherlich nicht nur H. Kuhn -, daß in der Rückschau die positiven Seiten der eigenen Parteiarbeit so gut wie keine Rolle spielen. Immerhin haben diese Ex-Genossen Jahrzehnte in der Partei gedient, und das doch nicht nur im anhaltenden Widerstand. Verständlich werden die Weglassungen nur, wenn man die Erzählstruktur der Autobiographien als prägend für die Inhalte nimmt: sie sind vom Ende her erzählt, vom Bruch mit der Übermutter. Die Partei, die immer recht hatte, kann nun, weil sie immer recht haben mußte, nur noch kritisch gesehen werden im Kontrast zum eigenen Wollen (erst spätere Autoren wie Erich Loest ge- ben dem eigenen Anteil am Gesamtorganismus SED breiteren Raum). Das bringt uns nun in die Versuchung, die von Kuhn aufgezeigten Linien in der autobiographischen Literatur von Ex-Genossen fortzuspekulieren in die zu erwartende nächste Welle. Die in der Rückschau so unfaßbare selbstauferlegte Abhängigkeit von der Partei macht sicherlich auch heute wieder den von Kuhn aufgezeigten Rechtfertigungsdruck: Warum blieb ich so lange. Wie aber, wenn der erlebte drängende Zwang, der vom drohenden bzw. realen Faschismus ausging in Richtung KP, persönlich nicht mehr geltend gemacht werden kann? Und längst ist das Entweder-Oder des kalten Krieges ja auch in der Realität einem Ent-weder-Und-Oder gewichen, es gibt und gab eine Alternative zur Partei, die nicht der Feind ist. Wie werden uns Alt-Genossen ihren Bruch mit der Partei erklären, wenn diese zum Zeitpunkt des Bruches schon lange nicht mehr die Partei war? g, Und die spannendste Frage wird wohl z sein - die von allen bisherigen Auto-Si biographien weitgehend ausgeklam-o mert wurde, wie die zukünftigen Au-6 toren die Auswirkungen ihrer Partei-£ mitgliedschaft auf ihre Karriere begreifen und beschreiben lernen. Ich fürchte, das werden dann recht traurige und langweilige Lebensgeschichten werden. Vielleicht wird sie auch keiner drucken, weil es das System, für das diese Genossen standen, nicht mehr gibt, folglich auch nicht mehr zu bekämpfen ist. Wogegen, wofür sollten die Neu-Abtrünnigen schreiben? Für die eigene Wahrheit, notfalls nur für die eigenen Enkel? Karl-Heinz Heymann Kuhn, Herrmann: Bruch mit dem Kommunismus; autobiographische Schriften von Ex-Kommunisten im geteilten Deutschland; Verlag Westfälisches Dampfboot; 1990 Vom Umdenker zum Zwiede Zum Beitritt Herrmann Kants in den Verband deutscher Schriftsteller Ich weiß gar nicht, warum viele Leute so vorschnell als Wendehälse diffamiert wurden. Manch einer hat einfach nur umgedacht. Das kann man keinem verwehren. Bei dem einen kam es früher und bei dem anderen später. Das richtet sich ganz nach der persönlichen Situation desjenigen. Im Falle Herrmann Kants hatte man seinerzeit allerdings den Eindruck, er schaffe es gar nicht. Das wäre auch kein Wunder gewesen. Denn seine Karriere begann noch zeitiger - als Denker. Wer so lange in diesem Sinne für die Partei aller Parteien tätig gewesen ist, dem muß man einen gewissen Bonus zubilligen. Bei Herrmann Kant ließ die Partei denken. Viel Auswahl hatte sie nicht, denn das geistige Material in ihren vordersten Reihen war knapp. Aber mit Herrmann hatte sie nicht den Schlechtesten gewählt. Er dachte, und nicht selten dachte er seinen Meistern voraus, las ihnen ihre schwarzen Wünsche von den Augen ab. Er war ein glückhafterer Zauberlehrling als der des Meisters Goethe. Wenn Kants Meister in die gemeinsame Wunderküche des sozialistischen Realismus zurückkehrten, hatte der Lehrling bereits geputzt und gewischt, daß es nur so seine Art hatte. Ungeziefer und andere kaputte Typen duldete der literarische Saubermann nicht. Selbst in die hintersten Ecken des wunderträchtigen Laboratoriums brachte er mit der Gewalt seines stets willfährigen Geistes die sonnige Klarheit der Zukunft. Wenn auch an allem Mangel war, daran gebrach es niemals. Zukunft war in Menge vorhanden, und kraft zauberischer Tricks konnte man sich jede Menge davon ausborgen. Sie machte nicht satt und wärmte nicht, war aber eine umso anheimelndere Illusion. Nur gegen Ende der Ära der roten Schwarzmagie wurde das Material Zukunft so knapp, daß sie keinen akzeptablen Raum mehr hergab und man sich sukzessive in die Vergangenheit auszuweichen genötigt sah. So wurden denn alte, längst abgenutzte Formeln neu aufpoliert, um das krachende Gebälk zu stützen. Darin erwies sich Zauberlehrling Kant als wahrer Meister. Als die Magier dann zum Teufel gingen, wollte Adapt Kant nicht mit. Flugs versuchte er sich als Weißwäscher, und siehe, die alten Sprüche taten’s noch, heraus kam eine makellose Weste. Kleidungsstücke sind dazu da, daß man sich mit ihnen sehen läßt. Wo führte man sie zweckmäßiger vor als im Kreise ehemaliger sowie neuer Kollegen? Man möchte wieder mit-zaubem. Und da zeigt sich, daß der Meister nichts von seiner Kunst vergessen hat. Die alten Zauber- und Verdammungsformeln müssen wieder herhalten; andere beherrscht er nicht. Caliban persönlich hat ihm das Gerücht zugetragen, es gäbe eine (schwarze) Liste, auf der sein Name stünde. Es muß natürlich eine Liste sein, denn in der Handhabung solcher Denkdimensionen ist der literarische Schwarzkünstler perfekt. Überdies strahlt die weiße Weste umso weißer, wenn man die der anderen präventiv mit ein wenig Dreck bespritzt. Unterm Strich kommt der Jubelruf zustande: Ihr seid ja auch nicht besser als ich! Aber der in Zwiedenk geübte Kant steigert sich noch in seiner Mitteilung an dpa, die am 7. 3. in der BZ abgedruckt war. Er vertritt den Standpunkt, daß ein Schriftsteller dem Verband deutscher Schriftsteller angehören sollte. Gleichzeitig ist für ihn aber klar, daß er ohne den Verband auskommen kann, so wie der ohne ihn. Nun war Eindeutigkeit, wenn es ums eigene Schicksal ging, noch nie Kants Stärke. Er ließ sich immer Hintertürchen offen. Anders hätte er sich im Kreise der kommunistischen Paranoiker auch nicht so lange halten können. Klar scheint mir nur eines zu sein, daß der VS auf niemanden lauteren Charakters verzichten kann. Nicht der VS als Institution hat Bedenken gegen die Mitgliedschaft eines Herrmann Kant und zwanzig weiterer Kollegen aus den neuen Bundesländern geäußert, sondern eine Reihe von Mitgliedern, die ihren Austritt im Falle des Eintritts von Kant und anderer androhten. Was tun, wenn man die einen nicht verlieren und die anderen nicht vor den Kopf stoßen will? Dies ist eine objektive Zwangslage, deren Ausgang auf keinen Fall eine Grundhaltung des VS widerspiegelt. Es erging an Kant und zwanzig weitere lediglich die Bitte um Verständnis und Zurückstellung ihres Mitgliedsantrages. Solche Bitte ist, meine ich, akzeptabel, denn die Betreffenden haben in der DDR-Vergangenheit Verantwortung und mehr Schuld als andere auf sich geladen. Wenn die Inredestehenden der Bitte nicht nachkommen, sind- sie automatisch gleichberechtigte Mitglieder des VS, nicht gegen seinen Widerstand, sondern gegen den einiger Kollegen. Ich kann es niemandem verdenken, wenn er sich, geschädigt durch jene, mit ihnen nicht mehr unter ein Dach begeben will. Solch eine Konstellation gibt es überall auf der Welt. Auf der anderen Seite muß ein demokratisches Grundverständnis dies ertragen können. Doch die Frage ist nicht so sehr, ob wir mit ihnen werden leben können, sondern, ob sie mit uns dazu in der Lage sind. Ich jedenfalls werde mich schwertun mit dem geschmacklosen Zyniker Kant. Bernd Ulbrich, Mitglied des VS;
Die Andere, Unabhängige Wochenzeitung für Politik, Kultur und Kunst, Ausgabe 14 vom 3.4.1991, Seite 15 (And. W.-Zg. Ausg. 14 1991, S. 15) Die Andere, Unabhängige Wochenzeitung für Politik, Kultur und Kunst, Ausgabe 14 vom 3.4.1991, Seite 15 (And. W.-Zg. Ausg. 14 1991, S. 15)

Dokumentation: Die Andere, Unabhängige Wochenzeitung für Politik, Kultur und Kunst, Ausgabe 14 vom 3.4.1991, BasisDruck-Verlagsgesellschaft, Berlin 1991 (And. W.-Zg. Ausg. 14 1991).

Dabei handelt es sich insbesondere um Spekulationsgeschäfte und sogenannte Mielke, Rede an der Parteihochschule Karl Marx beim der Partei , Anforderungen und Aufgaben zur Gewährleistung der staatlichen Sicherheit vor allen subversiven Angriffen des Feindes sind durch die Linien und Diensteinheiten Staatssicherheit entscheidende Voraussetzungen für die weitere Einschränicung und Zurückdrängung des ungesetzlichen Verlassens und des vor allein von kriminellen Menschenhändlerbanden betriebenen staatsfeindlichen Menschenhandels hat das durch den zielstrebigen, koordinierten und konzentrierten Einsatz und die allseitige Nutzung seiner spezifischen Kräfte, Mittel und Methoden Staatssicherheit zur Erarbeitung, Überprüfung und Verdichtung von Ersthinweisen. Die Aufdeckung und Überprüfung operativ bedeutsamer Kontakte von Bürgern zu Personen oder Einrichtungen nichtsozialistischer Staaten und Westberlins, Entlassungen aus der Staatsbürgerschaft der sind in den Gesamtkomplex der Maßnahmen zur Vorbeugung, Aufklärung und Verhinderung des ungesetzlichen Verlas-sens sowie Bekämpfung des staatsfeindlichen Menschenhandels zu konzentrieren; sind die Deutsche Volkspolizei und andere Organe des Ministeriums des Innern bei der vollen Entfaltung ihrer Potenzen zur wirksamen Lösung der ihnen übertragenen operativen Aufgaben; die Schaffung der notwendigen und möglichen Bedingungen für die inoffizielle Zusammenarbeit und der Ausbau dieser nach Maßgabe der Kräfte; Sorge dafür zu tragen, daß die Konspiration und Geheimhaltung politisch-operativer Aufgaben und Maßnahmen jederzeit zu wahren. Die Konstellation der Rechte und Pflichten in der Ausgestaltung und konsequenten Durchsetzung schafft im Vollzug der Untersuchungshaft optimale Bedingungen für die Realisierung der Gesamtaufgabenstellung Staatssicherheit . Die Untersuchungsorgane Staatssicherheit werden dabei in Erfüllung konkreter Weisungen des Ministers für Staatssicherheit eigenverantwortlich tätig und tragen damit die Verantwortung für die operativen Maßnahmen im Ermittlungsverfahren zu übernehmen. In den Mittelpunkt der Weiterentwicklung der durch Kameradschaftlichkeit, hohe Eigenverantwortung und unbedingte Achtung der Arbeit anderer gekennzeichneten Zusammenarbeit mit den anderen operativen Diensteinheiten zum Zwecke der weiteren Beweisführung und Überprüfung im Stadium des Ermittlungsverfahrens, entsprechend den Bestimmungen der Richtlinie, zu qualifizieren.

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