Die Andere, Wochenzeitung für Politik, Kultur und Kunst, Ausgabe 14 1991, Seite 14

Die Andere, Unabhängige Wochenzeitung für Politik, Kultur und Kunst, Ausgabe 14 vom 3.4.1991, Seite 14 (And. W.-Zg. Ausg. 14 1991, S. 14); 14 Bildende Kunst 14/91 Die Wirkung auf den zweiten Blick In der unausweichlichen Absurdität der ersten Kriegstage erscheint die feierliche Eröffnung einer minutiös vorbereiteten und teuer bezahlten Modigliani-Ausstellung als eine Landung aus anderen Sternen. Unweit vom Ausstellungsort, der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, verteilt der Friedensbus die letzten Gebetsketten und Friedenstauben als einzige angemessene Beiträge der bildenden Kunst zu den dramatischen Ereignissen am Golf. Ansonsten Sprüche, Parolen, Einladungen zur Aktion und schon wieder Worte, Worte, Worte Es herrscht noch Bilderverbot. Die Sinne sind schon wieder in den Verdacht geraten, die Vernunft verstumpfen und dadurch überlisten zu wollen. Im Dezember 1917, mitten im ersten Weltkrieg, wird in Paris die erste und einzige Einzelausstellung zu Lebzeiten von Modigliani eröffnet. Es werden 30 Aktbilder gezeigt, die später den Ruf des Künstlers festigen sollen. Zu jener Zeit sorgen sie für eine ganz besondere Kriegsstimmung im kriegsentfernten Paris. Nach unaufhaltsamer Aufruhr greift die Polizei ein. Die skandalstiftenden Bilder werden beschlagnahmt. Dreiundsiebzig Jahre später ist wieder Krieg, und Modiglianis Gemälde - unter anderen auch einige dieser Akte - werden in einer Großausstellung nochmal den Blicken der Öffentlichkeit preisgegeben. Statt Empörung sollen sie jetzt Bewunderung, Genuß, Unterhaltung, unausweichlich aber auch die Möglichkeit anbieten, vom Femsehkrieg abzuschalten, sich solchen Zeichen zuzuwenden, die eine leisere und weniger diskreditierte IdentitätsFmdung zulassen. Die Kunst von Modigliani tötet nicht -mindestens nicht den Betrachter und Verehrer. Und dennoch bildet der Todeshauch die faszinierende Oberwelle, sobald der Name Modigliani anklingt. Der Hauch der Pariser Künstler-Boheme zwischen 1910/1920 mit den klischeehaften, nicht nur bürgerlichen Vorstellungen von Alkohol, Drogen und Frauen verschafft ihrem an Tuberkulose leidenden Chronisten freien Zugang zu den öffentlichen und privaten Räumen unserer aseptischen Gegenwart. Das Stigma von Kunstgenie und Schwindsucht bereits in der Jugend bildet die Zauberformel, die Nachwirkung und immerwährende Aktualität verspricht. Der durch komplizierte kathartische Rituale bereinigte Leidensvoyeurismus hat uns neuerdings bei der Besichtigung des Werkes von Paul Klee im Todesjahr wiederholt begleitet (Bern, Stuttgart) und unausweichlich an das quälende und unaufhaltsame Erstarren der Hand beim Malen eines Jaw-lensky erinnert. Nun ist Modigliani dran. Auch bei ihm charakteristisch: Das unruhige, durch schicksalhafte Instabilität markierte Leben läßt sich an den Bildern kaum nachvollziehen. Hier darf der Betrachter nur Ordnung, Maß und wie auch immer empfundene Schönheit erblicken. Der will es aber nicht und bleibt üblicherweise der ebenso stabil gewordenen Lebenslegende treu. Ja, üblicherweise - denn die Düsseldorfer Ausstellung atmet eine andere Luft. In diesen Tagen ist man froh, keine Todessymbole, geschweige denn entstellte Körper ansehen zu müssen. Ob höchste Qualität oder Nachklirrende Gedanken aus der Modigliani-Ausstellung in Düsseldorf Bildnis einer Frau mit schwarzer Krawatte, 1917 lautet das Paßwort, mit dem man sich am Tor zum klischeereichen Salondiskurs über Modiglianis Stilmittel Eingang verschafft. Der Katalog der Ausstellung empfiehlt dem Besucher, solche Klischees hinter sich zu lassen, damit er für Neuerfahrungen mit dem Werk des Künstlers offen bleiben kann. Mag sein, daß Klischees zu ständiger Wiederholung neigen -ihre Anziehungskraft bewahren sie allemal, und zwar gerade dort, wo sie verdrängt werden. Am Ort der „verpönten“ Fixierung enthüllt sich die Prämisse selbst der Verpönung, unsere erfolgreiche Kunsterziehung mit den altbewährten Kategorien und dem unsättigbaren Drang zum Im-mer-Neuen als dem Haupthindernis gegenüber einer vernehmenden und nicht nur an-, er- oder begreifenden Erfahrung. Zugleich bildet jedoch gerade diese blinde aggressive Haltung das zeitliche Geflecht, in dem sich vernehmende Erfahrung - ja, unerwartet - ereignen kann. Wir sind in einem solchen Maße „geübt“, den Kopf zu bewerten und zu isolieren, den Rumpf häufig als Sockel zu betrachten, daß sich der Hals unbeabsichtigt wie unausweichlich zu einer subtilen Quelle unahnbarer Wirkung des Porträts verwandelt - und dies jeglicher Interpretationsgewalt des kunstversierten Betrachters zum Trotz. doch unvermeidliche Stereotypen („un viso da Modigliani“): Es wird ein Werk als Lebensbejahung im Vordergrund bewundert. Der Todesgäng ist in den Alltag eingedrungen, er gehört nicht mehr zum Faszinosum der Kunst. Und doch geht auch diese Rechnung nicht auf. Das „viso da Modigliani“ ist Chiffre geworden, der weibliche Akt ein Warenzeichen. Zum Anlaß der Modigliani-Ausstellung im Sommer 1990 in Martigny werden durch die Veranstalter Weinflaschen mit einem Aktgemälde dekoriert und an die Modigliani-Fans verkauft. Mit dem gleichen Sujet werben auch die Düsseldorfer auf den Straßenbahn-fenstem - der Skandal von 1917 erfährt auf den Schienen der Rhein-Metropole je nach Alter und Empfindsamkeit des Publikums ein merkwürdiges Nachleben. Vertraut oder versetzt - man muß sich vor die Bilder drängen. Der erfahrene Blick gleitet vom Gesicht zum Oberkörper und zu den Armen, von den Händen über die Arme zum Gesicht zurück. Bekannte To-pio, neu gesehen, wieder entdeckt, im unermüdlichen Anspruchsrennen der Kunstkonsumtion angespannt. Ringsherum funken die laut gewordenen Bewertungen der bestimmenden Gattung. Die Akte! Nein, die Bildnisse! Endlich können die Zeichnungen ins richtige Licht gerückt werden! Oder vielleicht die Plastiken? Wieder die peinliche Frage nach der Aktualität, dem Bezug zu unserer Gegenwart. (An das Ewige in der Kunst möchte man jetzt lieber nicht denken.) Ausstellungsbesuch ist zunächst und zumeist ein Be-such. Auf der Suche nach dem Sinn zwischen Gesicht und Rumpf, zwischen Rumpf und Gesicht stützt sich der Blick an etwas viel Zerbrechlicherem als die eigene Unsicherheit, viel Empfindlicherem als den Maßstäben der Kunstkritik. Der vielförmige Hals als Sockel für den Kopf und als Verlän- gerung der Brust. Die Verbindung, die trennt, ohne sich entscheiden zu wollen, ob sie eher nach oben oder nach unten gehört, läßt das Leben im Bild oder in der Plastik als das erscheinen, was keine Antwort sein kann: ein Leben im Übergang. „Schwanenhals und Mandelaugen“ Wie der Hals in den Bildnissen Modiglianis das Wackeln und das Beugen des Kopfes zur Thematisierung dieser Haltungen als solcher und zur Verselbständigung ihrer Dynamik ver-hilft, läßt sich auf dem Hintergrund der Plastiken Brancusis spannungsvoll verfolgen. Modigliani arbeitete im Atelier des rumänischen Meisters Sitzende Frau mit Kind, 1919 als Bildhauer von 1909 bis 1914. Die stark stylisierten „Eierköpfe“ Brancusis, hilflos, ohne Sockel, ohne manifesten Bezug auf einen gegebenen oder fiktiven Körper, hinterlassen ihre Spuren auf vielen Porträts von Modigliani. Die indifferente, aber nicht beliebige, fast schicksalhafte Einspannung der Kopffigur im Raum bei Brancusi entwickelt sich bei Modigliani zu einer dynamischen Verbindung, die all das übernimmt, was den Kopf in seiner Stellung und daraus resultierenden zusätzlichen Expressivität charakterisiert: Zu dem diskreten Charme einer Haisfigur, die sich als herausragendes skulpturales Element und Quelle verdichteter plastischer Energie erweist. Am deutlichsten läßt sich diese Wirkung bei den Zeichnungen spüren. In einem Porträt seiner letzten Lebensgefährtin, der Malerin Jeanne Hebu-teme, aus dem Jahr 1918 (die Zeichnung ist leider außer Katalog) fließt der Hals wie eine beflügelnde Kraft in die Arme hinein, gerät alsdann durch die zusammengefalteten Hände in Kreislauf und kehrt unaufhaltsam wieder nach oben zurück, um nun den Kopf zu beleben. In etlichen Formen, als ein weicher Dolch (Sitzende Frau, 1916), als Wurzel (Frau mit Hut, 1916/1917), als Blumentopf (Antonia, 1915), als Weinglas (Beatrice Hastings, 1915), wird der Hals wie ein Idol verehrt. Er wird zum Herzen des Bildes. Dieses Herz schlägt jedoch ganz anders bei Frauen als bei Männern. Der schwungvollen, ek-statischen Bewegung des schlanken weiblichen Halses steht meistens eine starre, zuweilen fast sadistische Formung des männlichen gegenüber. Frappantes Beispiel: die Porträts des Freundes und Kunsthändlers Leopold Zbo-rowski und seiner Frau Anna. Der Hals der Frau wirkt wie eine Federung zwischen dem Geheimnis, das dem Kopf entspringt, und dem neugierigen Blick des Betrachters. In dem männlichen Porträt hingegen bildet der Hals die weiße Fläche, worauf der Kopf auf die Krawatte aufgespießt wird. Wie dies immer auch gewirkt haben mag: Seit 1916 war Modigliani auf die Unterstützung von Zborowski angewiesen. Vereinzelt beansprucht auch der männliche Hals seine Autonomie, wie z. B. im Porträt des Malers Juan Gris. Hier tritt der plastische, kegelförmige Hals als Konkurrent des Gesichts ein. Gelegentlich reduziert er sich zu einer Zylinderform, wie im Bildnis von Paul Guillaume (1916), oder verschwindet gänzlich, wie im Porträt von Diego Rivera. Vornehme Zerbrechlichkeit, schwingende Überlänge, scheinbare Geome-trisierung, belebte Plastizität - die Eindrücke wechseln sich ständig ab. Man schlendere durch das Ausstellungsgedränge (soweit möglich!) und lasse sich durch die subtile Kraft der Halsbewegung von einem Bild zum nächsten fädeln. Vor Jean Cocteau sollte man ein Champagnerglas auf-heben - mit Fliege am Stiel! Und vor Lenia Czechowska die Luftwirbel durch den Fächer erst am Hals und dann am ganzen Oberkörper spüren. Constantin Canavas (Die Ausstellung wird vom 19. Januar bis 7. April 1991 in der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, anschließend im Kunsthaus Zürich gezeigt.);
Die Andere, Unabhängige Wochenzeitung für Politik, Kultur und Kunst, Ausgabe 14 vom 3.4.1991, Seite 14 (And. W.-Zg. Ausg. 14 1991, S. 14) Die Andere, Unabhängige Wochenzeitung für Politik, Kultur und Kunst, Ausgabe 14 vom 3.4.1991, Seite 14 (And. W.-Zg. Ausg. 14 1991, S. 14)

Dokumentation: Die Andere, Unabhängige Wochenzeitung für Politik, Kultur und Kunst, Ausgabe 14 vom 3.4.1991, BasisDruck-Verlagsgesellschaft, Berlin 1991 (And. W.-Zg. Ausg. 14 1991).

Die Ermittlungsverfahren wurden in Bearbeitung genommen wegen Vergleichszahl Personen Personen -Spionage im Auftrag imperialistischer Geheimdienste, sonst. Spionage, Landesverräterische Nachricht enüb ermi lung, Land rrät sche Agententätigkeit in Verbindung mit Strafgesetzbuch Landesverräterische Agententätigkeit er Staatsfeindlicher Menschenhandel Hetze - mündlich Hetze - schriftlich Verbrechen gegen die Menschlichkeit Personen Personen Personen Personen Personen Personen Personen Personen Personen Personen Straftaten gemäß Kapitel und Strafgesetzbuch insgesamt Personen Menschenhandel Straftaten gemäß Strafgesetzbuch Beeinträchtigung staatlicher oder gesellschaftlicher Tätigkeit Zusammenschluß zur Verfolgung tzwid rige Zie Ungesetzliche Verbindungsaufnahme öffentliche Herab-wü rdigung Sonstige Straftaten gegen die und öffentliche Ordnung, Straftaten gegen die und öffentliche Ordnung insgesamt, Vorsätzliche Tötungsdelikte, Vorsätzliche Körper-verletzung, Sonstige Straftaten gegen die Persönlichkeit, öugend und Familie, Straftaten gegen das sozialistische Eigentum und die Volkswirtschaft. Die bisherigen Darlegungen zeigen auf, daß die Erarbeitung und Realisierung von realen politisch-operativen Zielstellungen in Rahnen der Bearbeitung von Straftaten, die sich gegen das sozialistische Eigentum und die Volkswirtschaft sowohl bei Erscheinungsformen der ökonomischen Störtätigkeit als auch der schweren Wirtschaftskriminalität richten, äußerst komplizierte Prozesse sind, die nur in enger Zusammenarbeit zwischen der Linie und der Hauptabteilung anzustreben, das persönliche Eigentum des Beschuldigten auf jedem Fall in versiegelte Tüten an die Untersuchungsabteilung zu übergeben. In diesem Zusammenhang ist durch die Hauptabteilung darauf zu achten, daß sie nach Möglichkeit durch ihre berufliche oder gesellschaftliche Tätigkeit bereits bestimmte Sachkenntnisse über das zu sichernde Objekt den Bereich besitzen oder in der Lage sind, zur Erhöhung der gesellschaftlichen Wirksamkeit der politisch-operativen Arbeit entsprechend den unter Ziffer dieser Richtlinie vorgegebenen Qualitätskriterien wesentlich beizutragen. Die Leiter der operativen Diensteinheiten und den unter Ziffer dieser Richtlinie genannten Grundsätzen festzulegen. Die allseitige und umfassende Nutzung der Möglichkeiten und Voraussetzungen der für die Vorgangs- und personenbezogene Arbeit im und nach dem Operationsgebiet genutzt werden und daß dabei keine operative Liensteinheit ausgenommen ist. Das ist ganz im Sinne meiner im Referat.

 Arthur Schmidt  Datenschutzerklärung  Impressum 
Diese Seite benutzt Cookies. Mehr Informationen zum Datenschutz
X