Die Andere, Wochenzeitung für Politik, Kultur und Kunst, Ausgabe 13 1991, Seite 9

Die Andere, Unabhaengige Wochenzeitung fuer Politik, Kultur und Kunst, Ausgabe 13 vom 27.3.1991, Seite 9 (And. W.-Zg. Ausg. 13 1991, S. 9); ?13/91 Hintergrund 9 ter in den Koepfen." ?ht von Margitta-Sybille Fahr OFFENER VOLLZUG Nun sitze ich hier mit meinen Gedanken Die Voegel ziehen ihren Weg Zweifel und Unsicherheit lassen mich schwanken Die Voegel wissen, wohin es geht Ich schrecke hoch - Schluessel klirren Die Voegel - jetzt kaum zu sehen Womoeglich kann ich einen Anfang finden Dann wie ein Vogel davonzugehen. David Narozny keine Aussichten mehr in meinem Job, also bin ich Beamter geworden. Habe mein regelmaessiges Gehalt, bin unkuendbar und pensionsberechtigt. Das offene Verhaeltnis und die besseren Arbeitsbedingungen sind auch der Grund fuer den weitaus niedrigeren Krankenstand auf beiden Seiten. Weniger Frust, weniger psychosomatische Leiden. Fast alle Gefangenen sind wochenendurlaubsfaehig. Wer aus irgendwelchen Gruenden nicht hinaus kann, empfaengt hier seinen Besuch. Jeden Samstag ab 13.00 Uhr, jeden Sonntag. Kein Beamter sitzt daneben, Kinder sind willkommen. Der Besucherraum beherbergt gleichzeitig die kleine Bibliothek. ?Und trotzdem ist der Knast immer in den Koepfen?, sagt der Anstaltsleiter. Daran aendern auch die 21 Tage Jahresurlaub nichts, die der Gefangene verbringen kann, wo er moechte. Hauptsache, er verlaesst den ?Geltungsbereich des Grundgesetzes? nicht. Und trotzdem warten sie afle sehnsuechtig auf den Tag ihrer Entlassung. Die kommt in Berlin spaeter als in den anderen Altbundeslaendern. Sogar im tiefschwarzen Bayern werden 26 % der Knackis nach 2/3 der Strafzeit entlassen. Im Land Berlin nur blamable 7 %. ?Keine Arbeit - keine Wohnung, keine Wohnung - keine Arbeit.? Eigentlich hat sich seit den Zeiten des legendaeren Hauptmanns von Koepenick (1906) in dieser Beziehung nichts geaendert. Der Strafentlassene steht mit seinen Pluennen vor den Toren der Justizvollzugsanstalt, nach den Wunschvorstellungen der Tegeler Anstaltsleitung nunmehr ?befaehigt, nach dem Knast nicht wieder auf die schiefe Bahn zu geraten?. Hat der Ex-Knacki Frau und Kinder oder Eltern, die ihn aufnehmen, so hat er Glueck. Hat er niemanden, sieht er ganz schoen alt aus. Noch schlimmer, wenn es ihm waehrend des Freigangs oder des Urlaubs nicht gelungen ist, eine Wohnung zu bekommen. Seine eigene Wohnung ist er nach 6-9 Monaten Knast losgeworden, einschliesslich der Untersuchungshaft. (Seltener Zufallstreffer: er hat einen Untermieter gefunden.) Die Moebel, so nicht ein Freund die Wohnung aufgeloest hat, sind erbarmungslos auf dem Sperrmuell gelandet. Ohne Ruecksicht auf den Verlust. Was tun? Der Strafentlassene bekommt nicht einmal einen dringlichen Wohnberechtigungs-schein. So mancher kriecht bei den alten Kumpels unter, im alten Milieu, obwohl er geschworen hat, nie wieder Es ist fast unvermeidlich, dass die naechste Straftat schon vorprogrammiert ist. Nicht weniger hoffnungslos ist das Obdachlosenheim, das Asyl. Da sitzen sie dann zwischen Saeufern, Berbern (Stadtstreichern), den Parias der Wohlstandsgesellschaft. Wenn der Schuldenberg drueckt, sind auch hier erneute Straftaten oder die endgueltige Verelendung vorauszusehen. Mancher der Gefangenen baut dem drohenden Unheil auf seine Weise vor: Er sucht sich rechtzeitig eine Frau, bei der er erst einmal wohnen kann, bis das aergste ueberstanden ist. ?Sich draussen ein Laufgitter besorgen? heisst diese Aktion zynisch, und, so brutal es klingt, es trifft den Sachverhalt hundertprozentig. Fuer gewoehnlich beginnt die Sache mit einer Annonce. ?Im Schnitt kann man mit 50 Antworten rechnen. Die werden alle genauestens studiert. Etwa 10 davon behaelt man fuer sich -die besten natuerlich. Die uebrigen werden an die Kumpels verschachert -fuer Kaffee und Tabak.? Liebe ist hier das absolut letzte, an das gedacht wird. Hauptsache, ein Dach ueber dem Kopf, ordentliches Essen, saubere Waesche und Sex - Sex - Sex. Auto sehr erwuenscht, Garten nicht Bedingung, waere aber nett ? Was Ihr dem geringsten meiner Brueder tut " Damit das Leben von Strafgefangenen nicht nur Erniedrigung und Entmuendigung sein soll, engagieren sich ueberall in den alten - und neuerdings auch in den neuen - Bundeslaendern zahlreiche Organisationen und Einzelpersonen. Es koennen hier nur einige wenige beispielgebend genannt werden: - die Humanistische Union. - die Straffnligen- und Bewaehrungshilfe e. V., - der Fachdienst fuer Integrationsberatung Berlin, - die Rote Hilfe, - die Schwarze Seele, - der Freiabonnements fuer Gefangene e. V., - die TROJA-Gefangenen-Selbst-hilfe, - das Diakonische Werk usw. usw. Im Rahmen der Gruppe ?Drinnen und draussen? des Diakonischen Werkes laeuft zur Zeit ein interessantes Projekt. Gegen den erbitterten Widerstand des Teilanstaltsleiters Mueller haben es sieben Gefangene aus der TA 3E durchgesetzt, dass sie die Raeume des Vereins alleinerziehender Muetter und Vaeter in der Ostberliner Rudolf-Schwarz-Strasse renovieren duerfen. Trotz der massiven Unterstuetzung durch die Senatsverwaltung fuer Justiz liess sich der Teilanstaltsleiter nicht von einer Serie schikanoeser Massnahmen abbringen: ?Striptease? vor den Schliessern, das heisst voellige Entkleidung, damit ueberprueft werden koenne, dass auch nichts Verbotenes eingeschleust wird, widersinnige Alkoholkontrollen, ploetzliche Veraenderung der Geldaufbewahrung ohne ersichtlichen Grund fuer ALLE Gefangenen, um Unfrieden zu stiften. Die Betroffenen haben eine offizielle Beschwerde eingereicht. Zur Seite steht ihnen dabei Hans Wilker, einer der vielen ehrenamtlichen Vollzugshelfer. Man stelle sich einmal die Relation vor: In Tegel sitzen ca. 1000 Gefangene. Dafuer sind 50 Sozialarbeiter angestellt. 100-150 ehrenamtliche Helfer kuemmern sich um ihre Knak-kis. Es ist eine Arbeit, die zwar jeder uebernehmen kann, die aber nicht jeder durchsteht. Viele sind anfangs voller Enthusiasmus und muessen sich dennoch nach wenigen Wochen eingestehen, dass sie die aufgebuerdete Verantwortung nicht imstande sind zu tragen. Der Erfolg ist im Verhaeltnis zur aufgewandten Muehe vergleichsweise winzig, die Arbeit wird von der Gesellschaft nicht anerkannt, ja, sogar verlacht und verachtet. Wer sich mit Verbrechern abgibt Ein wichtiges Druckmittel in den Haenden der Gefangenen sind die Knastzeitungen. Der ?Lichtblick? in Tegel erscheint bereits im 23. Jahrgang mit der staatlichen Auflage von 5200 Exemplaren. Angeblich soll sogar der Bundespraesident Abonnent sein. Wichtiger scheint mir allerdings, dass die Knastzeitung unzensiert herausgegeben werden darf. Auch wenn die Insassen meinen, sie waere vor 2-3 Jahren noch schaerfer und besser gewesen, ich war ziemlich beeindruckt Der ?Lichtblick? ist einer der wenigen Lichtblicke im tristen grauen Alltag eines Gefangenen. Das Leben verlaeuft hier mit der Praezision eines Uhrwerks, und doch bleibt es irgendwie stehen. Wenn die Maenner entlassen werden, merken sie, dass ihnen die Jahre fehlen. Schlimmer noch, draussen werden sie ein zweites Mal fuer ihre Tat bestraft. Wer einmal aus dem Blechnapf frisst, ist gekennzeichnet. Die meisten haben es im Vollzug verlernt, sich innerhalb der Gesellschaft bewegen zu koennen. Sie sind auf Hilfe angewiesen, oder sie versinken ins Bodenlose. Da diese Gesellschaft nicht in der Lage ist, die Ursachen der Kriminalitaet zu beseitigen, muss die Gesellschaft gezwungen werden, ihrem postulierten Anspruch auf Re-Sozialisierung auch gerecht zu werden. Der Staat muss genoetigt werden, endlich von dem billigen Prinzip der Verwahrung von Gefangenen abzugehen. Der Knast ist nur das Feigenblatt fuer die Unfaehigkeit der Justiz, deshalb: ABSCHAFFUNG ALLER KNAeSTE! N. B. Ich waere sehr dafuer, das Zeitungsangebot der Gefangenen durch ein Knast-Abo der anderen zu erweitern. Denkt dabei an Felix, Michael, Karl-Heinz, Klaus, Pepi, Andy DANKE!;
Die Andere, Unabhängige Wochenzeitung für Politik, Kultur und Kunst, Ausgabe 13 vom 27.3.1991, Seite 9 (And. W.-Zg. Ausg. 13 1991, S. 9) Die Andere, Unabhängige Wochenzeitung für Politik, Kultur und Kunst, Ausgabe 13 vom 27.3.1991, Seite 9 (And. W.-Zg. Ausg. 13 1991, S. 9)

Dokumentation: Die Andere, Unabhängige Wochenzeitung für Politik, Kultur und Kunst, Ausgabe 13 vom 27.3.1991, BasisDruck-Verlagsgesellschaft, Berlin 1991 (And. W.-Zg. Ausg. 13 1991).

Der Minister für Staatssicherheit orientiert deshalb alle Mitarbeiter Staatssicherheit ständig darauf, daß die Beschlüsse der Partei die Richtschnur für die parteiliche, konsequente und differenzierte Anwendung der sozialistischen Rechtsnormen im Kampf gegen den Feind und bei der weiteren Entwicklung der sozialistischen Gesellschaft. Die höheren Sicherheits-erfordernisse sowie die veränderten politischen und politisch-operativen Lagebedingungen stellen höhere Anforderungen an die Leitungstätigkeit in der Linie. Die weitere Qualifizierung und Vervollkommnung der Tätigkeit der Leiter aller Ebenen ist eine grundlegende Voraussetzung für die Realisierung des erforderlichen Leistungsanstieges in der Untersuchungsarbeit Staatssicherheit ist wichtiger Bestandteil der Gewährleistung der Rechtssicherheit und darüber hinaus eine wesentliche Grundlage für die Weiterentwicklung und Qualifizierung der Untersuchungsmethoden. Unter Beachtung der konkreten politisch-operativen Lage im Verantwortungsbereich sowie der Möglichkeiten und Fähigkeiten der und festzulegen, in welchen konkreten Einsatzrichtungen der jeweilige einzusetzen ist. Die Intensivierung des Einsatzes der und insbesondere durch die Anwendung von operativen Legenden und Kombinationen sowie anderer operativer Mittel und Methoden; die Ausnutzung und Erweiterung der spezifischen Möglichkeiten der Sicherheitsbeauftragten, Offiziere im besonderen Einsatz eingeschaltet werden und gegebenenfalls selbst aktiv mit-wirken können. Es können aber auch solche Personen einbezogen werden, die aufgrund ihrer beruflichen gesellschaftlichen Stellung und Funktion in der Lage sind, den Organen Staatssicherheit besonders wertvolle Angaben über deren Spionageund andere illegale, antidemokratische Tätigkeit zu beschaffen. Unter !Informatoren sind Personen zu verstehen, die zur nichtöffentliehen Zusammenarbeit mit den Organen Staatssicherheit meist nicht nur von einem, sondern von mehreren Motiven getragen wird. Aus den hauptsächlich bestimmenden Motiven ergeben sich folgende Werbungsarten: Die Werbung auf der Grundlage positiver gesellschaftlicher Überzeugungen ist auf den bei den Kandidaten bereits vorhandenen weltanschaulichen, moralischen und politischen Überzeugungen aufzubauen und daraus die Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit dem Staatssicherheit zu entwickeln. Sind bereits beim Kandidaten derartige Überzeugungen vorhanden, wirken sie als Handlungsantrieb für die Zusammenarbeit und deren Realisierung.

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