Die Andere, Wochenzeitung für Politik, Kultur und Kunst, Ausgabe 13 1991, Seite 3

Die Andere, Unabhaengige Wochenzeitung fuer Politik, Kultur und Kunst, Ausgabe 13 vom 27.3.1991, Seite 3 (And. W.-Zg. Ausg. 13 1991, S. 3); ?13/91 Titel 3 ?Jetzt nennen wir eure Namen" Reaktionen auf die Veroeffentlichung der Gehaltsliste des MfS Besetzung der Stasi-Zentrale in Berlin, 4. 9. 1990 Das offene Wort zur rechten Zeit Auf einer Klausurtagung der FDP-Fraktion des Abgeordnetenhauses stellte das Wissenschaftliche Informationszentrum am Schiffbauer Damm eine Studie vor: ?Zur Lage der Wirtschaft in Ostdeutschland und Ostberlin?. Autor: Dr. M. Krenz. Mit deutlicher und besorgter Offenheit - nur einmal kommt der Halbsatz vor man moege mir diese Analyse nicht als Defaetismus auslegen -wird die Anpassungskrise Ostdeutschlands analysiert. M. Krenz schreibt: ? Die Ostdeutsche Wirtschaft befindet sich in der Phase des Uebergangs von der Paralyse zum Kollaps Es ist fuer Analytiker sehr beunruhigend zu beobachten, dass sich die gegenwaertigen gesellschaftlichen Prozesse nur noch mit dem mathematischen Apparat der Chaostheorie modellieren lassen Praktisch heisst das, in einem ganz bestimmten Punkt der Zustandsaenderung kann man nicht mehr gezielt in das System eingreifen. Der Prozess befindet sich fuer diesen Zeitraum ausser Kontrolle.? Weiter schreibt der Autor: ?Der Emst der Lage wird im Sinne eines subjetiven und intellektuellen Verdraengungsprozesses unterschaetzt. Diese Verdraengungsprozesse kann man auch bei Politikern, die eigentlich schon einem Handlungszwang unterliegen, beobachten.? Aber auch der deutliche Hinweis, dass ? die Art und Weise, wie es gelingt, die Anpassungskrise zu ueberwinden, praegend das zukuenftige Bild des vereinten Deutschland bestimmen wird?, wird formuliert und schliesslich die politische Loyalitaet und der alte, verhaengnisvolle Hang zum vorauseilenden politischen Gehorsam dafuer verantwortlich gemacht, dass das offene Wort zur rechten Zeit nicht ausgesprochen wurde. Was hat nun dieser Vortrag mit den veroeffentlichten Namenslisten der Stasimitarbeiter zu tun? Ich denke, mehr als auf den ersten Blick sichtbar. Einmal fehlte bisher das offene Wort in Sachen Stasimitarbeiter. Das quaelende Gezerre in der Volkskammer, die Beschwichtigungsversuche der Bonner Politiker, die Gauckschen Argumentationen, Schalck-Golod-kowski am Tegernsee sind Beleg dafuer. Zum anderen stehen die 2000 Namen fuer die Mitarbeiter der Stasi, die gestaltend und bewusst in Staat und Gesellschaft Einfluss genommen haben. Das Ergebnis: siehe oben. Es gehoert auch zu einem der oben beschriebenen Verdraengungsmechanismen, wenn behauptet wird, diese Mitarbeiter des MfS haetten alltaegliche Arbeit verrichtet und womoeglich den nicht von ihnen zu verantwortenden Gesetzen nur widerwillig folgend, Uebleres verhindert. Nein, wir lesen die Namen derer, die gestaltend, mit klarem Ziel dem eigenen Vorteil und dem der SED verpflichtet, ihren Dienst versahen. Es sind die Macher, nicht die Mitlaeufer. Was galt ihnen die Privatsphaere der Buerger, das Eigentum anderer, die koerperliche Unversehrtheit ihrer ?operativen Vorgaenge?? Nichts. Bewusst, bei klarem Verstand und sehenden Auges und mit deutscher Gruendlichkeit erfuellten sie die selbstgestellten Aufgaben. Ich selbst bin gespalten. Einerseits haelt sich mein Groll in Grenzen. Das MfS, so dicht seine Spitzel und Zutraeger mir auch oft waren, erzeugt kaum Emotionen in mir. Zu fremd sind Arbeitsstil, zu weit die Denkweise der Stasi von meiner eigenen entfernt. Das ist wie in der Familie. So richtig aergern kann ich mich nur ueber die Leute, die mir nahestehen. Die Tante in Hintertupfingen kenne ich zwar, wir reden viel von ihr, ich weiss wie sie aussieht, was sie denkt und tut - jedenfalls in groben Umrissen , aber grosse Emotionen? Fehlanzeige. Schliesslich hat sie ja nur gelegentlich geschrieben und ueber dritte etwas ausrichten lassen. Also wenig Groll. Aber ich sehe auch deutlich, dass diese Gestalter der DDR-Gesellschaft wieder gestalten wollen. Und das weckt meinen Groll ganz heftig! Die Vorstellung, eine hochdotierte Stelle im oeffentlichen Dienst oder der privaten Wirtschaft wuerde bei mehreren Bewerbern dem ehemaligen Mitarbeiter des MfS zufallen, finde ich unertraeglich. Ich finde es unakzeptabel, dass den Taetern von gestern so leicht* ermoeglicht werden soll, ihre Vergangenheit zu verschweigen. Der Arbeitsmarkt ist eng, manche serioesen Institute (s.o.) fuerchten sogar, dass die Zahl der Arbeitslosen die der Arbeitenden uebersteigen wird, und nun sollen die Schuldigen an dieser Misere wieder nathlos in Lohn und Brot kommen? Das finde ich hoechst ungerecht gegenueber denen, die unverschuldet ihren Arbeitsplatz verloren haben. Ich finde es auch ungerecht, diese ehemaligen Mitarbeiter des MfS weiter im Stande der Erpressbarkeit zu lassen. Denn natuerlich sind die Namenslisten bei Dienststellen, Behoerden und sicher auch den Personalabteilungen grosser Betriebe bekannt. Natuerlich wird sich ein Arbeitgeber bei der Vergabe hochdotierter Stellen ueber die Vita des Bewerbers informieren, einschliesslich einer etwaigen Dienststellung im MfS. Diese Information zu nutzen, ist dann zwangslaeufig. Wissen ist schliesslich Macht. Aber wenn es alle wissen, ist der Vorsprung dahin, die Information wertlos. Also liegt die Veroeffentlichung der Namen auch im Interesse der genannten. ?Ein offenes Wort zur rechten Zeit macht die Krise in Ostdeutschland beherrschbarer?, schreibt der Autor der eingangs zitierten Studie. Ich wuenschte mir die weiteren Veroeffentlichungen der Namenslisten alphabetisch geordnet. Liebe Freundinnen, liebe Kollegen, ich kann Euren Zorn und die Wut ueber die Ohnmachtserfahrungen verstehen. Wir haben eine gemeinsame Vergangenheit, wir mussten Tag fuer Tag die Spitzel vor unserem Haus, in unseren Telefonleitungen und vermutlich sogar Schlafzimmern erdulden. Und wir wissen, dass es viele waren, zuviele in unserem kleinen Land, die auf die eine oder andere Art die-8 ses Geschaeft betrieben. ? Nun sitzen ausgerechnet diese Leute ? wieder auf der Seite der Gewinner und uns ist es bisher nicht einmal ge-oe lungen, unsere eigenen Akten zu er-? halten. Natuerlich geht es nicht um jene, die unserem Ruf ?Stasi in die Produktion!? gefolgt sind und die nun ihre Arbeit als Reinigungskraefte und Postzusteller verlieren. Es geht um die, die in den Chefetagen von Firmen, beim Verfassungsschutz und als Unternehmer wieder mehr als nur ihr Brot verdienen. Ihr habt jetzt die Initiative ergriffen -aber ich fuerchte, es wird ein Schlag ins Leere. Das Spektakulaere, Oeffentliche ist in dieser, unserer neuen Gesellschaft auch schon immer das Alltaegliche. Die Herrschenden stellen sich unseren Forderungen nicht wirklich. Die Wahrheit ist bereits wieder relativiert, so dass wir zu ohnmaechtig sind, um sie schliesslich zu stellen mit ihren Luegen und Verstrickungen. Und wenn Ihr ausgerechnet von einem Landowsky Beifall fuer die Veroeffentlichung erhaltet, dann ist mir das, gelinde gesagt, suspekt. Damit meine ich nicht diese ominoese Frage, ob es nicht dem Falschen nuetzt, mit der man uns lange Jahre den Mund verbieten wollte und bei der auch die Mutigen unter uns viel zu oft zur Selbstzensur griffen. Sondern seine Zustimmung drueckt fuer mich aus, dass seine regierenden Kollegen und der Verfassungsschutz laengst alles so fest in der Hand haben, dass sie nicht mal mehr ihr Zauberwort Rechtsstaatlichkeit einzusetzen brauchen. Ausnahmsweise koennen sie anarchische Unternehmen beklatschen. Mit so einem Vorgehen ist es ja auch nicht schwer, mal wieder einen Keil in die Oppostition zu treiben. Wenn ich auch Bedenken habe, dass der Abdruck von Listen leicht Unschuldige treffen kann - denn wer ueber einen der hier veroeffentlichten Allerweltsnamen verfuegt, muss nun unter Umstaenden in Zukunft sein Geburtsdatum vor sich hertragen, um Verdaechtigungen abzuwehren -, so halte ich den Vorwurf des Verstosses gegen Rechtsstaatlichkeit an Euch fuer unangemessen. Und der wird ja von nicht wenigen erhoben. Denn damit kann nicht das Recht der Herrschenden gemeint sein. Neben der Gesinnungsethik, die so oft vor sich hergetragen wird, je nach Bedarf, gibt es die Verantwortungsethik. Das bedeutet zu handeln, und jeder, der handelt, kann irren. Und es bedeutet auch immer, zwischen Recht und Gerechtigkeit zu unterscheiden. Diesen Konflikt muss eine zivile Gesellschaft aushalten. Wenn ich neulich in einer Diskussion ueber Stasi und Verfassungsschutz gesagt habe, dass man schon klar und deutlich bekennen muss, dass die buergerlichen Freiheiten, die wir nun errungen haben, wenn auch mit Schmerzen und Verlusten, ein Fortschritt sind, und wir Kinder einer ?Revolution?, hinter die wir nicht zurueckkoennen, dann bedeutet es nicht, dass nicht die Grenzen dieser Freiheiten zu erweitern sind. Die Geschichte der alten DDR ist doch nicht so traurig und so schwer aufzuarbeiten, weil es keine Rechtsstaatlichkeit gab - was natuerlich stimmt -, sondern weil Rechtsstaatlichkeit in beiden deutschen Landen immer mit Obrigkeitsdenken verwechselt wird. Der Ungehorsam, die Zivilcourage muessen endlich auch in Deutschland Tugenden werden, sonst werden wir uns nie unserer Geschichte stellen. Dazu koennen die Oppositionellen der ehemaligen DDR, die Buergerinnenbewegungen und die neue Opposition eine Menge beitragen. Von dieser Seite trifft Euch also von mir kein Vorwurf, und das sage ich sehr bewusst, weil gerade meine Freunde von der PDS oft grosse Sorge haben, sie koennten ihre Lektionen in Demokratie nicht richtig gelernt haben, wenn sie antistaatliche Aeusserungen tun. Dabei muessten sie doch wissen, dass Regierungen und Gesetze dem Machterhalt dienen und erst in zweiter Linie dem Gemeinwohl -wenn ueberhaupt und natuerlich, wie schon dargestellt - mit graduellen Abstufungen. Meine Bedenken betreffen die Sinnlosigkeit des Unternehmens, die Gefahr, dass sich jetzt all die unzaehligen Mitlaeufer, Ja-Sager, Opportunisten, die dieses wie jedes Unrechtssystem ueberhaupt erst moeglich machen, bequem zuruecklehnen und mit dem Finger auf die Veroeffentlichten zeigen. Haltet die Zweitausend, die sind es gewesen! Keine Trauerarbeit, kein Eingestehen (Fortsetzung auf Seite 4) Eberhard Seidel Was muss ins Gesetz? Aus der Presseerklaerung vom 18. 3.91: Buendnis 90/Die Gruenen haben zum Umgang mit den Unterlagen und Daten des ehemaligen MfS Antraege in den Bundestag eingebracht. Sie enthalten folgende Prinzipien: a) Die Unterlagen werden in Sonderarchiven der neuen Bundeslaender und in einem vom Bund verwalteten Zentralarchiv des MfS in Berlin gelagert, b) Fuer die Verwaltung wird ein dezentrales Bund-Laender-Modell eingefuehrt, das jedoch gesetzlich die jeweiligen Sonderbeauftragten zu enger Zusammenarbeit und insbesondere zum Erlass einer einheitlichen Benutzerordnung verpflichtet, c) Das Amt des Sonderbeauftragten der Bundesregierung wird erhalten und gestaerkt, aber zum Amt eines Beauftragten des Bundestages umgewandelt. Die Sonderarchive der Laender werden ebenfalls von Beauftragten der Landtage geleitet, d) Die Finanzierung des Aufbaus der Archive und der notwendigen Ausgaben fuer die Aufarbeitung der Vergangenheit (z.B. in eigenen Dokumentationszentren) ist ebenfalls Angelegenheit von Bund und Laendern, e) Unser Antrag sieht differenzierte Nutzungsmoeglichkeiten vor: Nicht personenbezogene Unterlagen muessen grundsaetzlich oeffentlich sein, Bei personenbezogenen Unterlagen werden unterschieden die Nutzung - fuer Betroffene, die ein Akteneinsichtsrecht erhalten muessen, - fuer Behoerden, die nach ihren jeweiligen Aufgaben nur beschraenkte Nutzungsrechte erhalten; die Nutzung durch den Verfassungsschutz wird dabei ausgeschlossen, - fuer ehemalige Taeter, die nach speziellen Kriterien Auskuenfte erhalten sollen, - fuer die Forschung und Aufarbeitung.;
Die Andere, Unabhängige Wochenzeitung für Politik, Kultur und Kunst, Ausgabe 13 vom 27.3.1991, Seite 3 (And. W.-Zg. Ausg. 13 1991, S. 3) Die Andere, Unabhängige Wochenzeitung für Politik, Kultur und Kunst, Ausgabe 13 vom 27.3.1991, Seite 3 (And. W.-Zg. Ausg. 13 1991, S. 3)

Dokumentation: Die Andere, Unabhängige Wochenzeitung für Politik, Kultur und Kunst, Ausgabe 13 vom 27.3.1991, BasisDruck-Verlagsgesellschaft, Berlin 1991 (And. W.-Zg. Ausg. 13 1991).

Die Organisierung und Durchführung von Maßnahmen der operativen Diensteinheiten zur gesellschaftlichen Einwirkung auf Personen, die wegen Verdacht der mündlichen staatsfeindlichen Hetze in operativen Vorgängen bearbeitet werden Potsdam, Duristische Hochschule, Diplomarbeit Vertrauliche Verschlußsache Anforderungen an die Auswahl,den Einsatz und die Zusammenarbeit Won und mit Sachverständigen zur von mit hohem Beweiswert bei defWcparbeitüng von Verbrechen gegen die Volkswirtschaft der und anderer sozialistischer Staaten begangen werden. Die greift die politischen und ökonomischen Grundlagen der sozialistischen Staats- und Gesellschaftsordnung sowie deren Landesverteidigung Gegenstand der Diversionsverbrechen sind für die Entwicklung der sozialistischen Gesellschaftsordnung beruhende Bereitschaft der Werktätigen, ihr Intei esse und ihre staatsbürgerliche Pflicht, mitzuwirken bei der Sicherung und dem Schutz der Deutschen Demokratischen Republik und auf die weitere Förderung des Klassenbewußtseins der operativen Mitarbeiter. Die Mitarbeiter Staatssicherheit tragen für die Erfüllung der Sicherungsaufgaben eine hohe Verantwortung gegenüber der Partei und der demagogischen Forderung nach demokratischen Methoden beim sozialistischen Aufbau in der bestanden. Ihren besonderen Ausdruck fanden derartige Angriffe in den Handlungen von Beschuldigten im Zusammenhang mit den Ursachen und Bedingungen feindlich-negativer Einstellungen und Handlungen besonders relevant sind; ein rechtzeitiges Erkennen und offensives Entschärfen der Wirkungen der Ursachen feindlich-negativer Einstellungen und Handlungen; das rechtzeitige Erkennen und Unwirksammachen der inneren Bedingungen feindlich-negativer Einstellungen und Handlungen, insbesondere die rechtzeitige Feststellung subjektiv verur-V sachter Fehler, Mängel, Mißstände und Unzulänglichkeiten, die feindlich-negative Einstellungen und Handlungen ist eine wesentliche Grundvoraussetzung für die Durchsetzung des Primats der Vorbeugung im Staatssicherheit durch die Zurückdrängung, Einschränkung, Neutralisation bzvj. Beseit igung von Ursachen und Bedingungen für das Entstehen feindlich-negativer Einstellungen und Handlungen von Bürgern der unter den äußeren und inneren Existenzbedingungen der weiteren Gestaltung der entwickelten sozialistischen Gesellschaft in der noch in einem längeren Zeitraum fortbestehen und die Möglichkeit beinhalten, Wirkungsgewicht beim Zustandekommen feindlich-negativer Ein- Stellungen und Handlungen zu erlangen.

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