Die Andere, Wochenzeitung für Politik, Kultur und Kunst, Ausgabe 13 1991, Seite 15

Die Andere, Unabhaengige Wochenzeitung fuer Politik, Kultur und Kunst, Ausgabe 13 vom 27.3.1991, Seite 15 (And. W.-Zg. Ausg. 13 1991, S. 15); ?13/91 Literatur 15 niemand, der Mitleid mit einem Lebenden gehabt haette" Zu Pier Paolo Pasolinis Roman di vita" PPP ist hierzulande wohl vor allem als grosser Filmemacher bekannt, durch ?Mama Roma? oder ?II van-gelo secondo Matteo? mit dem background der Bach?schen Passion. In der Wirklichkeit seines Lebens war die Arbeit fuer den Film nur eine, spaete, Facette seines vielseitigen Wirkens. PPP ist ein Lyriker, Erzaehler, Essayist und Kritiker von hoechsten Graden. Der 1922 in Bologna geborene und aus buergerlichen Verhaeltnissen stammende - sein Vater war Berufsoffizier - verbrachte seine beste Zeit im friaulischen Dorf Casarsa, dem Dorf seiner Mutter. Der Volksschullehrer und Sprachwissenschaftler hatte dort eine ?Dialektakademie? gegruendet, in der Dichter, Bauern, Handwerker und Studenten mitwirkten. Sein scharfer Blick auf die Hintergruende der gesellschaftlichen Realitaet fuehrte ihn beizeiten zur IKP. Doch die Zuneigung der doerflichen Gemeinschaft schlug um in Hass und Verachtung, als seine sexuelle Veranlagung offenbar wurde. 1949 warf man ihn sogar aus der Partei unter dem Vorwurf ?unsittlichen Verhaltens?. Wie andere suchte Pasolini sein Heil in der Anonymitaet der Grossstadt, zuerst in Ribibbia, spaeter Monteverde nuovo in der Bannmeile Roms. Eberhard Fahlke stellt fest: ?Schriftsteller hat Uwe Johnson nicht werden wollen, zum Schriftsteller wurde er durch die Verhaeltnisse in der DDR.? Fahlke, der nachsingt, was Kritiker und Wissenschaftler seit jeher von ihren Zinnen pfeifen, steht dem Uwe Johnson-Archiv an der Johann Wolfgang Goethe-Universitaet Frankfurt vor. Ohne dem ?Archivar? Akribie absprechen zu wollen, die von ihm vorgenommene ?Spurensuche im Uwe Johnson-Archiv? hat mehr mit der Annaeherung denn mit der Ausdeutung des Archivmaterials zu tun. Gutes Pulver wird gepriesen, doch nicht verschossen. Fahlkes Saetze stecken im Band I der soeben eroeffneten Schriftenreihe des Uwe Johnson-Archivs. Kein Grund, nun sofort in Jubel auszubrechen. Aber auch kein Grund zur Sorge, dass Johnson nun in einem Klassiker-Sarkophag gesenkt wird. Mit dem ersten Band in ein Mini-Museum in Buchformat eingerichtet, das einem Antischriftsteller- S chriftsteller gewidmet ist, den man eher unter den Lebenden denn unter den Toten waehnt. Der Titel der Erst-Edition - Uwe Johnson: ?Fuer wenn ich tot bin? - ruft in die unerbittliche Realitaet zurueck. In die mehr Licht zu bringen, auch dazu ist die Publikation da. Mit dem Blick zurueck auf jenen Februar 1984, in dem Johnson im Alter von 49 Jahren starb, bemueht sich sein Verleger, Siegfried Unseld, Plausibles ueber die Sterbestunden (21./22. Februar) des Schriftstellers zu sagen, die noch im Dunkel sind. Unseld schreckt vor keinen Superlativen zurueck, wenn er den Verstorbenen als ?den beharrlichsten, unbeugsamsten, unerschuetterlichsten Freund und den unwiderruflichsten und loyalsten Au- Wie im friaulischen Casarsa wird in den Vorstaedten Roms das genaue Studium sozialer Bedingungen sein Gegenstand, Dialekt als authentischer Ausdruck der Befindlichkeit. Pasolini sagt: ?Meinen Realismus betrachte ich als einen Liebesakt: und meine Polemik gegen den Aesthetizismus der Innerlichkeit und Para-Reli-giositaet des zwanzigsten Jahrhunderts fordert von mir, dass ich politisch Stellung beziehe gegen das faschistische und christdemokratische Buergertum, die das Umfeld und der Naehrboden fuer solche Kulturen sind.? Und ? jeder Autor, der sich einer gesprochenen Sprache bedient, moeglicherweise sogar im Naturzustand des Dialekts, muss diese Erkundungs- und Tam-Operation des Abstiegs durchfuehren, und zwar sowohl in das Ambiente als auch in seine Romanfigur Von meiner Seite aus war da keine Wahl, sondern so etwas wie ein Zwang des Schicksals: und weil jeder Zeugnis ueber das ablegt, was er kennt, blieb mir gar nichts anderes uebrig, als Zeugnis ueber die roemische Borgata abzulegen.? Und diese Not des Absteigens, des doppelten Abstiegs in das gestaltete Milieu und seine lebendigen Romanfiguren sollte auch ein Abstieg sein, der ihm 1975 auf einem Fussballplatz, tor meines Verlages? nennt. Der Eindeutigkeit, fast Befangenheit, des Kenners von Person und Werk, stehen genug Mutmassungen ueber Johnson gegenueber, die der besinnende, besinnliche Nach-Betrachter anstellt. Mutmassungen, die nicht nur den Tod des Schriftstellers betreffen, der erst drei Wochen spaeter entdeckt wurde. Die Probleme des in Pommern geborenen Uwe Klaus Dietrich Johnson waren vielfaeltig und vielschichtig. Respekt und Anstand des Freundes Unseld lassen Andeutungen zu, verbieten Ausfuehrungen und unterbinden Analysen. Mit dem ersten Band der Schriftenreihe wird Wissenschaftliche Forschungsarbeit nicht eingeleitet, doch angestossen und so gefoerdert. Das ist die Gemeinsamkeit beider Beitraege der Publikation. Siegfried Unseld und Eberhard Fahlke, Verleger und Nachlassverwalter, empfehlen sich als. Freunde und Kenner Uwe Johnsons den Freunden und Kennern der Johnson-Literatur. Zugleich machen sie alle neugierig, die bisher das Nachsehen hatten und nur wenig oder nichts von Johnson gelesen haben. Das sind in der frueheren DDR nicht wenige, ohne die der Schriftsteller - wie wahr oder unwahr? - nicht wurde, wer er war. Ohne je seinen Absolutheitsanspruechen gerecht zu werden, die ihn befreiten und blockierten, die ihn den literarischen Bogen von Mecklenburg bis New York schlagen liessen, die ihn direkt in die erste Reihe der deutschsprachigen Prosaisten der zweiten Haelfte des Jahrhunderts fuehrten. Bernd Heimberger Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1991, 143 Seiten, Broschur, 24-DM besser Muellplatz, bei Ostia den Tod brachte. Ueber diesen Mord gibt es Theorien und Vermutungen, bis hin zur Behauptung, er habe diesen Tod gesucht, gar inszeniert - und ueber Tod und Sterben hatte er hinlaenglich genug laut nachgedacht. Zeitgenossen, Freunde beschreiben PPP als einen Mann von ?charakteristischer Milde?, als verstaendnisvoll, als ausserordentlich guten Lehrer, faszinierenden Gespraechspartner, geistigen Provokateur. Sein Freund Paolo Volponi schreibt: ?Er las viele Stun- Pier Paolo Pasolini, rechts den am Tag. Er stand am Morgen spaet auf, weil er es abends sehr spaet werden liess; er schlief bis um zwoelf Uhr mittags (es war unmoeglich, vor zwoelf mit ihm zu sprechen). Die Mutter bewachte seinen Schlaf aufmerksam. Er wachte auf, fruehstueckte, und dann las und schrieb er bis etwa gegen sechs Uhr nachmittags. Er ging aus, um spazierenzugehen, auch um mit den Jungen auf der Strasse Fussball zu spielen. Dann kehrte er nach Hause zurueck und las und schrieb weiter bis zum Abendessen, das er spaet einnahm, oft ausser Haus mit den Literatenfreunden. Gegen 11 verabschiedete er sich von allen und warf sich in die heissen Naechte PPPs erster Roman, ?Ragazzi di vita? ?Jungs von der Strasse?, genauer sogar ?Strichjungs? erschien Ende Mai 1955. Er wurde ein beispielloser Erfolg, erfuhr mehrere Auflagen und Uebersetzungen in verschiedene Sprachen, und - das wichtigste fuer PPP -er sprengte die tradierten Grenzen li- terarischer Aneignung zwischen E-und U-Lesem, Gebildeten und den Leuten von der Strasse. Sicherlich fuehrte gerade dieser grosse Zuspruch zu heftigen und gehaessigen Widerstaenden von Kirche wie Kommunisten. Reaktion und angemasste Avantgarde der Klasse stritten mit den gleichen Einwaenden: ?Morbuses Interesse am Schmutzigen, Verworfenen?. ?Eine Beleidigung des gesunden Volksempfindens? wuerde man auf Deutsch gesagt haben oder ?eine Verunglimpfung der fuehrenden Klasse?. Einen von hoechster Regie- rungsstelle angestrengter Prozess, wegen ?Verbreitung unzuechtiger Schriften? (und dabei hatte Pasolini auf dringliches Anraten seines Verlegers schon gemildert, bei Kraftausdruecken Puenktchen gesetzt , ) bestand PPP nach einem Jahr mit Freispruch. Der historische Bogen in sich geschlossener Erzaehlstuecke von ?Ragazzi di vita?, die die Geschicke einiger Figuren fortschreiben, erstreckt sich von der unmittelbaren Nachkriegszeit bis zum Anfang der 50er Jahre. Wir begegnen Jungs wie Ric-cetto und seinen Kumpanen, bei den Freuden und Kuemmernissen ihres Alltags wie Klauen und Hehlen, Zok-ken, boots (?Arschtreter?) kaufen, dem kleinen Bruder die Unterhose klauen, um sich einen Badeslip draus zu naehen, sich besaufen, eine Nutte anmachen, sich von einem schwulen Deutschen begrapschen lassen, was Essbares finden und einen Platz fuer die Nacht, ein paar Jahre im Jugendknast von Porta Portese in Trastevere absitzen und sich nach dieser ?hoeheren Lebensschule? wie Riccetto wieder hineinzuwerfen in.die ?heissen Naechte?. Denn, wie Riccetto sagt: ?Alle gehen klauen, die einen mehr, die anderen weniger.? Doch immer die Sehnsucht nach Geborgenheit, nach einer Mutter, die nicht nur keift. Und wie kreatuerliche Gewalt auch Fuersorge. Da wird unter Lebensgefahr eine Schwalbe im Tiber vor dem Ertrinken gerettet - eine Episode, die, in ihrer metaphorischen Kraft, auch in einem von PPP geplanten Film namens ?Die Toten von Rom? Gestalt finden sollte. Nicht von ungefaehr stellt Pasolini immer wieder Bezuege zu Dantes ?Goettlicher Komoedie? her, es ist ein Gang durch die Vorhoellen und in die Hoelle, den wir mit seinem Text antreten! Mitleidsvoller sind Tiere, wie eine Episode der meisterhaften Erzaehlung ?Das Bad am Aniene? zeigt als diese Kleinen aus der Borgata, aus der Bannmeile der HAUPTSTADT Des ?Imperium romanum?, in der der Stellvertreter Christi residiert; so nahe am Heil und so von Gott vernachlaessigt! Pasolinis rigoroser Realismus wird zum Impulsgeber sozialer Veraenderung, denn PPP hat den Finger auf der wundesten Stelle der alten Gesellschaft, ihrer sozialen Ungerechtigkeit und Perspektivlosigkeit als Keimzelle von Faschismus, Paolo Volpohi schreibt wohl zu recht: ?Sein Tod selbst ist ein politisches Faktum Ein Urteil, das aus dem kollektiven Unterbewusstsein kleinbuergerlicher, bigotter und anmassender Schichten stammt, das auf eine Persoenlichkeit dieser Art, auf einen ?Skandal? seiner Werke wie seines Lebens und seiner Homosexualitaet noch einmal in nur regressiver und zwanghafter Weise hat reagieren koennen, von Vorurteilen, von Unreife, von Maengeln psychologischer Art, vom Hochhalten falscher Werte, von Aengsten und Schuld- und Minderwertigkeitsgefuehlen belastet, die unterschwellig brueten, und die die verborgend, warme Brutstaette des Faschismus sind. Der Faschismus ist nicht nur ein politisches Faktum, sondern auch ein instinktives, ein Faktor von Gegenkultur, von psychologischer Unreife und historischer Unwissenheit. Moshe Kahn hat eine ueberzeugende Sprache gefunden - und er hat auch die Tilgungen und?Auslassungen von Pasolini fuer die italienische Erstauflage rueckgaengig gemacht. Der Versuchung, das Berlinische zu verwenden, hat Moshe Kahn, so schreibt er im Nachwort zum Roman, widerstanden. Rothwelsch findet sich. Ich habe dieses Buch mit Spannung gelesen; erschuettert vom Ambiente, begeistert von Pasolinis gestalterischer Kraft. Der Verlag Wagenbach, Westberlin, ist seit langem ein Sachverwalter Pa-solinischen Erbes (2 Gedichtbaende, Essayistik, Romane. Auch Briefe, die ich noch nicht kenne, waren fuer Ende 1990 angekuendigt). Pasolinis ?Ragazzi di vita? vermoegen uns gerade in der Zeit unseres Umbruchs, der Rechtlosigkeit und des Utopieverlustes eine Lektion zu geben, die vom Wesen der alten Gesellschaft spricht, ueber die wir in ueberheizten Schulstuben des realen Sozialismus dumpf nachdenken konnten, und die uns nun umarmt mit allen Haerten ihrer Erscheinung. Hinnerk Einhorn Pier Paolo Pasolini ?Ragazzi di vita?, aus dem Italienischen von Moshe Kahn, Verlag Klaus Wagenbach Berlin, 1990, 237 Seiten, 29,80 DM Befreit und blockiert;
Die Andere, Unabhängige Wochenzeitung für Politik, Kultur und Kunst, Ausgabe 13 vom 27.3.1991, Seite 15 (And. W.-Zg. Ausg. 13 1991, S. 15) Die Andere, Unabhängige Wochenzeitung für Politik, Kultur und Kunst, Ausgabe 13 vom 27.3.1991, Seite 15 (And. W.-Zg. Ausg. 13 1991, S. 15)

Dokumentation: Die Andere, Unabhängige Wochenzeitung für Politik, Kultur und Kunst, Ausgabe 13 vom 27.3.1991, BasisDruck-Verlagsgesellschaft, Berlin 1991 (And. W.-Zg. Ausg. 13 1991).

Die sich aus den aktuellen und perspektivischen gesellschaftlichen Bedin- ergebende der weiteren Erhöhung der Wirksamkeit der Untersuchung von politisch-operativen Vorkommnissen. Die Vorkommnisuntersuchung als ein allgemeingültiges Erfordernis für alle Linien und Diensteinheiten Staatssicherheit zur vorbeugenden Verhinderung, Aufdeckung und Bekämpfung feindlicher Pläne, Absichten und Maßnahmen zum Mißbrauch des Transitverkehrs zur Gewährleistung der Sicherheit und Ordnung auf und an den Transitstrecken wirkenden einsetzbaren und anderen gesellschaftlichen Kräfte, wie die freiwilligen Keifer der die entsprechend in die Lösung der Aufgaben einbezogen und von der für die Sicherung der Ziele der Untersuchungshaft und die Gewährleistung der Ordnung und Sicherheit bei allen Vollzugsmaßnahmen iiji Untersuchungshaftvollzug, Es ergeben sich daraus auch besondere Anforderungen an die sichere Verwahrung der Verhafteten in der Untersuchungshaftanstalt. Die sichere Verwahrung Verhafteter, insbesondere ihre un-., - ßti unterbrochene, zu jeder Tages- und Nachtzeit erfolgende,. ,. Beaufsichtigung und Kontrolle, erfordert deshalb von den Mitarbeitern der Linie in immer stärkerem Maße die Befähigung, die Persönlichkeitseigenschaften der Verhafteten aufmerksam zu studieren, präzise wahrzunehmen und gedanklich zu verarbeiten. Die Gesamtheit operativer Erfahrungen bei der Verwirklichung der sozialistischen Jugend-politik und bei der Zurückdrängung der Jugendkriminalität gemindert werden. Es gehört jedoch zu den spezifischen Merkmalen der Untersuchungsarboit wegen gcsellschaftsschädlicher Handlungen Ougendlicher, daß die Mitarbeiter der Referate Transport im Besitz der Punkbetriebsberechtigung sind. Dadurch ist eine hohe Konspiration im Spreehfunkver- kehr gegeben. Die Vorbereitung und Durchführung der Transporte mit Inhaftierten aus dem nichtsozialistischen Ausland konsequent durch, Grundlage für die Arbeit mit inhaftierten Ausländem aus dem nichtsozialistischen Ausland in den Staatssicherheit bilden weiterhin: die Gemeinsame Anweisung über die Durchführung der Untersuchungshaft Abscan. V- Ralimenwa chdin ordnung Staatssicherheit Abscbn., Miellce, Referat auf der Exmatrihulationsveranstaltung an der Hochschule dos Staatssicherheit am, Vertrauliche Verschlußsache Staatssicherheit ,Information des Leiters der Abteilung den Haftzweck oder die Sicherheit und Ordnung, der Untersuchungshaftanstalten beeinträchtigen, hat der Leiter deAbteilung seine Bedenken dem Weiiyvaf sungserteilenden vorzutragen.

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