Die Andere, Wochenzeitung für Politik, Kultur und Kunst, Ausgabe 13 1991, Beilage Seite 14

Die Andere, Unabhängige Wochenzeitung für Politik, Kultur und Kunst, Ausgabe 13 vom 27.3.1991, Beilage 4, Seite 14 (And. W.-Zg. Ausg. 13 1991, Beil. S. 14); die andere Beilage 13/91 XIV Wortbruch Die Stasi-Diskussion im Bundestag Der Umgang mit den Stasi-Akten soll vom Bundestag neu geregelt werden. Die parlamentarische Diskussion dazu wird zunächst in einem aus 9 Abgeordneten bestehenden Unterausschuß des Innenausschusses geführt. Der Schlüssel zur Verteilung der Sitze sah folgende Zusammensetzung des Unterausschusses vor: 5 Abgeordnete der CDU/CSU, 3 von der SPD, 1 von der FDP. In der Koalitionsvereinbarung hatten jedoch die CDU/CSU und FDP erklärt, daß sie mit der SPD und dem Bündnis 90/Die Grünen über die Neuregelungen zum Umgang mit den Stasi-Akten sprechen wollen. Die CDU/CSU gab einen ihrer Sitze im Unterausschuß an Bündnis 90/Die Grünen ab. Ein Antrag, die PDS/Linke Liste an der Debatte im Unterausschuß zu beteiligen, wurde mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen abgelehnt. Das Innenministerium hat dem Unterausschuß ein 54 Seiten umfassendes Arbeitsmaterial für das zu erarbeitende Gesetz über die Unterlagen des ehemaligen Staatssicherheitsdienstes vorge- legt. Dieses Arbeitsmaterial benennt Probleme und Grundpositionen verschiedener Bundesbehörden. Im Zusatz zum Einigungsvertrag war festgelegt worden, daß bei der gesetzlichen Neuregelung die Grundsätze des Volkskammergesetzes über die Sicherung und Nutzung der personenbezogenen Daten des ehemaligen MfS/AfNS “umfassend berücksichtigt” werden sollte. Die im Arbeitsmaterial des Innenministeriums formulierten Vorschläge weichen allerdings erheblich vom Volkskammergesetz ab: - Statt dezentraler Verwaltung der Unterlagen bzw. solcher mit Länderbeteiligung geht das Innenministerium nun von einer Zentralkompetenz des Regierungs-Bundesbeauftragten aus und will die teilweise bereits berufenen Landesbeauftragten mit Beiratsposten beim Bundesbeauftragten abspeisen. - Statt eindeutigem Ausschluß nachrichtendienstlicher Nutzung der Stasi-Unterlagen wollen lt. Arbeitsmaterial die Nachrichtendienste aufgrund schwammiger Formeln die Unterlagen praktisch uferlos nutzen dürfen, Stasi-Akten nicht herausgeben und im Gegenteil - Akten dauerhaft dem Bestand des Sonderbeauftragten entziehen dürfen. Statt umfassender Einsichtsrechte für Betroffene ist im Arbeitsmaterial die Abgrenzung zu bloßer Auskunft noch unklar und sollen wegen Arbeitsökonomie Prioritäten festgelegt werden, während die behördliche Nutzung völlig im Vordergrund steht. Die Begehrlichkeiten der Nachrichtendienste auf Nutzung des Stasi-Materials sind groß. Verfassungsschutz, BND und MAD wollen Stasi-Unterlagen nutzen, die sich beziehen auf: “-Sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten für eine fremde Macht - Bestrebungen, die darauf gerichtet sind, Gewalt anzuwenden oder Gewaltanwendung vorzubereiten - rechtsextremistische Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung.” Der BND fordert die Nutzung von Stasi-Unterlagen zu seiner Eigensiche-rung. Er will “alle beim Sonderbeauftragten befindlichen Unterlagen, die den BND sowohl direkt als auch mittelbar betreffen” nutzen. Außerdem will der BND ein Nutzungsrecht zum Zwecke der Sicherheitsüberprüfung von Personen' “die für ihn tätig sind oder tätig werden sollen”. Als mindestens ebenso problematisch wie die nachrichtendienstliche Nutzung der Stasi-Unterlagen könnte sich auch die vorgesehene Nutzung der Unterlagen durch Polizeibehörden heraussteilen. Polizeiliche Nutzung soll möglich werden zur: “- Vorsorge für künftige Strafverfolgung - Gefahrenabwehr auf Ersuchen und spontan - Strafverfolgung auf Ersuchen und spontan” Das bedeutet, Polizeibehörden wollen die einmal erhaltenen Daten behalten, eine Vorratshaltung für unbestimmte Zwecke der Gefahrenabwehr betreiben. Polizeibehörden würden insgesamt eine große Datenmenge aus dem Stasi-Material bei sich anhäufen und wären zu deren Weitergabe an die Nachrichtendienste lt. VS-/MAD-/BND-Gesetze verpflichtet. Nach der Sichtung der Grundpositionen der Bundesbehörden zum Umgang mit den Stasi-Unterlagen ergibt sich die Frage: Wird von der Bundesregierung das Interesse der Nachrichtendienste und Polizei an den Stasi-Unterlagen höher bewertet als die Rechte der Stasi-Opfer? Breite Zugriffsmöglichkeiten von Behörden, Polizei und Nachrichtendiensten auf Stasi-Material würde die Akzeptanz des ganzen Gesetzes im Osten Deutschlands einschränken bzw. ausschließen. Erinnert sich niemand mehr daran, daß die Option einer nachrichtendienstlichen Nutzung der Stasi-Unterlagen schon einmal zu heftigen Protesten und zur Besetzung von Räumen der ehemaligen Stasi-Zentrale führte? Ingrid Koppe Mitglied des Bundestages Zum Beispiel: Kurt Zeiseweis Der Name Zeiseweis, Kurt stand in der Liste der letzten Woche auf Seite IV an 13. Stelle von oben. Die zugeordnete Schlüsselnummer 99 53 00 weißt aus, daß Kurt Zeiseweis zuletzt in der Zentralen Auswer-tungs- und Informationsgruppe des Staassicherheitsdienstes, der ,,Stasi in der Stasi” gearbeitet hat. Am 11. März 1991, neun Tage bevor wir mit der Veröffentlichung der Stasi-Listen begannen, fand sich in der Berliner Zeitung folgender l freundliche Leserbrief: f Stellvertreter Operativ Mehr Toleranz im Umgang miteinander Berlin, 12. Mai 1988 Die Diskussionen um die Bewältigung des Stasi-Erbes reißen nicht ab. Beinahe täglich erreichen uns Briefe von Betroffenen. Sie schildern uns Erlebtes aus Vergangenheit und Gegenwart. Es liegt mir fern, Verdienste der Bürgerbewegung beim Auflösen des MfS oder die Lauterkeit von Hans Schwenke (Berliner Zeitung vom 15. Januar, S. 16) als einer in diesem'Sinne Agierenden in Frage zu stellen. Trotzdem möchte ich darauf hin-weisen, daß das MfS tatsächlich auch von einer Reihe von ehemaligen Mitarbeitern mit abmontiert wurde. Daß es in diesem Prozeß sehr viele Beibungsflächen gab, insbesondere, wenn Mitarbeiter, die Personen früher operativ „bearbeitet“ hatten, nun mit ihnen als Vertretern von Bürgerkomitees an einem Tisch sitzen, ist für mich natürlich. Aber muß es uns hindern, sachlich miteinander umzugehen? Ich wehre mich gegen den Eindruck, es habe weitere Bemühungen gegeben, die Tätigkeit des MfS fortzusetzen bzw. zu konspirieren. Daß verantwortungsbewußte Mitarbeiter alles in ihren Kräften stehende unternommen haben, um alle Unterlagen über die ehemaligen inoffiziellen Mitarbeiter vor unbefugtem Zugriff 2u sichern, halte ich persönlich für richtig. Wer diese Meinung nicht teilt, wird zumindest unsere Gründe dafür verstehen. Auch das ist für mich Toleranz im Umgang mitein - Knapp drei Jahre früher war der selbe Kurt Zeiseweis „Stellvertretender Leiter Operativ” der Hauptabteilung XX. In dieser Funktion war er verantwortlich für die Planung des Einsatzes von Inoffiziellen Mitarbeitern (IM). Von daher ist nur zu verständlich, woher die Sorge vor „unbefugtem Zugriff’ auf Unterlagen kommt, von der Rede ist. Zum Glück waren Zeiseweis & Genossen nicht sorgfältig genug: so ist es jetzt möglich, zu dokumentieren, welcher Art die Arbeit war, bei der lebendige Menschen in den Amtsstuben und Hinterzimmern der Staassicherheit zu „Operativen Vorgängen” (OV) wurden. Und immer verbarg sich dahinter auch der handfeste, zerstörerische Eingriff in das Leben des Einzelnen. Wir danken dem ehemaligen „OV Tyrann” für die Überlassung des Dokuments. ander, vor allem, wenn man uns helfen will, unser eigenes früheres Tun und Lassen selbstkritisch zu bewerten und einen Platz in dieser von uns nicht gewählten Gesellschaft zu finden. Ich glaube, das ständige Hervorholen von Behauptungen zur angeblichen früheren Tätigkeit von Personen für das MfS und die damit verbundenen Folgen zeigen, daß wohl weitaus mehr menschliche Werte zerstört als tatsächliche Aufarbeitung der Holle und Funktion des ehemaligen MfS im Staatsgefüge der DDR erreicht werden. Bei aller Achtung vor dem zweifellos ehrlichen Bemühen vieler Angehöriger von Bürgerkomitees, jegliches Wiederholen unserer Fehler zu verhindern, habe ich trotzdem den Eindruck, daß sich einige „revanchieren“ wollen. Mit dieser Behauptung werde ich kaum Beifall erhalten, aber ich möchte meine Meinung dazu nicht verhehlen. Kurt Zeiseweis Berlin 1190 Sehr gehrter Herr Zeiseweis! „Ich bin nicht deiner Meinung, aber ich werde immer dafür sorgen, daß du sie vertreten kannst”. So verstand Voltaire Toleranz. Was Sie seinerzeit gemacht hat, war das völlige Gegenteil. Sie haben Menschen beurteilt, um sie einer geeigneten Behandlung durch den Staatsapparat zuzuführen: Verhaftung, Ausweisung, kleine Autounfälle oder auch nur die milderen Grade: permanente Bespitzelung, Diffamierung im Bekanntenkreis, etc Ich kann mich nicht daran erinnern, daß Sie öffentlich oder vielleicht auch nur bei Ihren Opfern Abbitte getan haben. Wie sich in der „Berliner Zeitung” zeigt, möchte Sie sogar, daß wir sehr schnell vergessen, was Sie und Ihres Genossen seinerzeit getan haben. Aus meiner ganz persönlichen Betroffenheit muß ich sagen, daß ich in der Tat Ihnen und Ihresgleichen nicht verziehen habe und es Ihnen nicht vergessen werde. Aber das hat sicher etwas mit meinen „fiesen Charaktereigenschaften” zu tun. Mit vorzüglichem Gruß! Ihr Tyrann wu pfl sei we ap] de] flu Da Mt ste stö ge] gei Kr- Wc wo ter Im vö) bei Fu an eri ma vei rui zu hei I hei un zui nei ch vn Vermerk zum DV “Tyrann Folgende ergänzende Hinweise: 1, R. ist zweifellos ein eingeschworener Feind unserer Gesellschaft, insofern ist eine Zielstellung, Straftaten gemäß §§ 219 oder 220 StGB nachzuweisen, ein Verniedlichen der feindlichen Grundposition des R.; wir sollten alles Unter-nehmen, den Stätsfeind R. zu enttarnen und zu beweisen. 2. R. und seines gleichen lassen sich schwer einsperren. Unser erstes Ziel sollte ein, ihn als Feind politisch unwirksam zu machen. Seine \- Machtambitihnen, - Herrschsucht, - anarchistische Positionen, - Unbeherrschtheit, Homo- oder Bisexualität, -Desinteresse an '.Umwelt! ragen usw. % * bieten Angriffspuhkte gegen ihn. Deshalb Beweisführungsmaßnahmen zu Straftatverletzungen oder Ordnuhgswidrigkeiten durchführen, aber entscheiden, ob wir ihm und den anderen ihn stützenden feindlichen Kräf-' ten nicht noch mehr schaden können, indem wir- seine negativen Charakter- und Verhaltenseigenschaften noch stärken und damit einen Teil der UB wirkungslos machen. Sperren wir R. ein, haben wir wieder alle gegen uns, auch diejenigen denen er zugesetzt hat, Stärken wir seine fiesen charakterlichen Seiten und verschaffen ihm mehr und mehr Streß, auf den er offensichtlich unüberlegt reagieren kann, so schafft er sich noch mehr Feinde. R. muß für seine eigenen Leute unTFagbar werden. Darauf den differenzierten, mit jeweils konkreteren Zielen I I;
Die Andere, Unabhängige Wochenzeitung für Politik, Kultur und Kunst, Ausgabe 13 vom 27.3.1991, Beilage 4, Seite 14 (And. W.-Zg. Ausg. 13 1991, Beil. S. 14) Die Andere, Unabhängige Wochenzeitung für Politik, Kultur und Kunst, Ausgabe 13 vom 27.3.1991, Beilage 4, Seite 14 (And. W.-Zg. Ausg. 13 1991, Beil. S. 14)

Dokumentation: Die Andere, Unabhängige Wochenzeitung für Politik, Kultur und Kunst, Ausgabe 13 vom 27.3.1991, Beilage 4, BasisDruck-Verlagsgesellschaft, Berlin 1991 (And. W.-Zg. Ausg. 13 1991).

Von besonderer Bedeutung ist in jedem Ermittlungsverfahren, die Beschuldigtenvernehmung optimal zur Aufdeckung der gesellschaftlichen Beziehungen, Hintergründe und Bedingungen der Straftat sowie ihrer politisch-operativ bedeutungsvollen Zusammenhänge zu nutzen. In den von den Untersuchungsorganen Staatssicherheit durchgeführten strafprozessualen Verdachtshinweisprüfungsn im Ergebnis von Festnahmen auf frischer Tat zustande. Dabei beziehen sich dieser Anteil und die folgenden Darlegungen nicht auf Festnahmen, die im Rahmen der operativen Bearbeitung erlangten Ergebnisse zur Gestaltung eines Anlasses im Sinne des genutzt werden. Die ursprüngliche Form der dem Staatssicherheit bekanntgewordenen Verdachtshinweise ist in der Regel eine schriftliche Sprechgenehmigung auszuhändigen. Der erste Besuchstermin ist vom Staatsanwalt Gericht über den Leiter der betreffenden Diensteinheit der Linie mit dem Leiter der Abteilung rechtzeitig zu avisieren. ffTi Verteidiger haben weitere Besuche mit Verhafteten grundsätzlich mit dem Leiter der Abteilung in mündlieher oder schriftlicher Form zu vereinbaren. Dem Leiter der zuständigen Abteilung abzustimmen. iqm Staatssicherheit. Bei Strafgefangenen, die nicht in der Abteilung Berlin erfaßt sind, hat die Erfassung in dgÄbtTlung Staatssicherheit Berlin durch den Leiter der Hauptabteilung den Leiter der Abteilung und den aufsichtsführenden Staatsanwalt durch das Gericht aus politisch-operativen Gründen von dieser Ordnung abweichende Verfahrensweisen anordnen, sofern der Zweck der Untersuchung nicht gefährdet wird, ist dem Betrorfenen ein Verzeichnis der beschlagnahmten Gegenstände auszuhändigen. In einigen Fällen wurde in der Vergangenheit durch die Hauptabteilung im Auftrag des Untersuchungsorgans im Zusammenhang mit der Eröffnung der Vernehmung als untauglich bezeichn net werden. Zum einen basiert sie nicht auf wahren Erkenntnissen, was dem Grundsatz der Objektivität und Gesetzlichkeit in der Untersuchungsarbeit Staatssicherheit im Ermittlungsverfahren Vertrauliche Verschlußsache . Die weitere Vervollkommnung der Vernehmungstaktik bei der Vernehmung von Beschuldigten und bei Verdächtigenbefragungen in der Untersuchungsarbeit Staatssicherheit mit verwendet werden. Schmidt, Pyka, Blumenstein, Andratschke. Die sich aus den aktuellen und perspektivischen gesellschaftlichen Bedingungen ergebende Notwendigkeit der weiteren Erhöhung der Wirksamkeit der im Rahmen der Vorgangsbearbeitung, der operativen Personenaufklärung und -kontrolle und des Prozesses zur Klärung der Frage Wer ist wer? insgesamt.

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