Die Andere, Wochenzeitung für Politik, Kultur und Kunst, Ausgabe 13 1991, Beilage Seite 1

Die Andere, Unabhängige Wochenzeitung für Politik, Kultur und Kunst, Ausgabe 13 vom 27.3.1991, Beilage 4, Seite 1 (And. W.-Zg. Ausg. 13 1991, Beil. S. 1); Die Hauptamtlichen Teil 2: Die Fortsetzung der Stasi - Gehaltslisten die Stasi kostete Inhalt II: Teppiche, Besen und Schleier III: von Werner Fischer Ihre Namen XIV: Zum Beispiel Zeiseweis XV: Die Ratten kommen an Bord XVI: von Detlef Opitz Das Dynamo-Problem Zivile Gesellschaft Was uns Von Reinhard Schult An den Reaktionen zur Veröffentlichung der Stasi-Namenslisten wird auch eine Art Einheitsfront zwischen ehemaligen Mitarbeitern, PDS und ND deutlich. Eines ihrer gemeinsamen Argumente ist, die Veröffentlichung der Namen würde von den sozialen Nöten und Ängsten der Menschen ablenken. “Wem nützt diese Aktion?” fragt Dietmar Keller, Abgeordneter der PDS im Bundestag und ehemaliger Kulturminister der Regierung Mo-drow/de Maiziere. Und Wolfgang Schwanitz, als Stasi-General mit 68250 Mark Jahresgehalt an sechster Stelle in der Gehaltsliste, behauptet in einer Umfrage der Berliner Zeitung: “Mit dem Dauerbrenner Stasi soll nach bewährter Methode von den wachsenden Alltagsproblemen der Menschen in den neuen Bundesländern abgelenkt werden.” “die andere” als Zentralorgan Kohlscher Politik? Sprache ist verräterisch, Herr Keller und Herr Schwanitz. Die Drahtziehertheorie hat schon Stalin in seinen Moskauer Prozessen verwendet. Wenn schon von PDS und Ex-Stasi versucht wird, die soziale Situation in der ehemaligen DDR gegen die politL Begeistert bin ich keineswegs über die Veröffentlichung der langen Gehaltsliste von Stasi-Offizieren. Auch unter den 100 000 Angestellten wird es zahlreiche brave Bürger gegeben haben, vielleicht im medizinischen Dienst der Bezirksverwaltung Magdeburg, um ein Beispiel zu greifen, und ich möchte nicht, daß die angepöbelt oder bespuckt werden. Die Gefahr ist übrigens gering. Ich kenne zahlreiche Funktionäre, denen nichts geschehen ist, bis hin zu Egon Krenz, der ein paar Straßen weiter unbehelligt wohnt. Auch dürfen Stasi-Mitarbeiter, die die Vergangenheit bereuen und einen neuen Anfang mit produktiver Arbeit versuchen, nicht durch die Veröffentlichung aus der Bahn geworfen werden. Das ist aber leichter gesagt als eingelöst, wenn Millionen ihre Arbeit verlieren, die früher schon benachteiligt und in ihrer Entwicklung gehemmt waren und jetzt nicht einsehen werden, daß es sie trifft und nicht zuerst die Mitarbeiter des MfS. Die Argumente für die Veröffentlichung wirken stärker. Erstens, die Liste ist bereits in zahlreichen Händen. Als Geheimpapier macht sie jeden, dessen Klamame auf ihr steht, erpreßbar. Jederzeit kann man ihn hochgehen lassen. Zweitens, es ist gerechter, wenn die Namen nicht einzeln durchsickern, wie es jetzt war, und die Gewandte- sche Frage der Offenlegung auszuspielen, sollten wir doch unsererseits den Versuch machen, die soziale und finanzielle Belastung- der DDR-Gesellschaft durch die Stasi aufzurechnen. Die Gehaltsliste des MfS umfaßt ca. 100000 Namen von hauptamtlichen Angestellten. Ihnen wurden 1989 etwa 2,5 Milliarden Mark ausgezahlt. Hinzu kommen mindestens 300000 inoffizielle Mitarbeiter, auch Spitzel genannt. Nicht alle haben Geld erhalte, manche eine Wohnung, ein Telefon oder früher und billiger als andere ein Auto. Oder sie konnten beruflich Karriere machen, z.B. freier Rechtsanwalt werden wie Herr Schnur oder ein Geschäft eröffnen. Spitzel, wenn sie Geld bekamen, erhielten zwischen 700 und 1000 Mark pro Monat. Nimmt man an, daß ein Drittel von ihnen, also 100000 bezahlt wurden, sind das 1,2 Milliarden Mark im Jahr. Dazu kommen die Kosten für den Unterhalt von mehr als 17000 Fahrzeugen, Bussen, LKW, von mehr als 10000 konspirativen Objekten und Wohnungen, für bauliche Investitionen aller Art, die medizinische Betreuung, die Ausbildung, das Waffenarsenal, die Bezahlung der Agenten im Ausland, der Aufbau von ausländischen Geheimdiensten in der sten sich wieder durchschlängeln. Drittens, die öffentliche Atmosphäre in den neuen Ländern ist durch die Vermutung vieler Menschen vergiftet, daß angeblich alte Stasiseilschaften als heimliche Saboteure wirken. Wo das zutrifft, ist mit der Veröffentlichung eine Seilschaft ein für allemal entdeckt. Wo nicht, verliert die Vermutung an Gewicht, selbst dort, wo vielleicht ein Ex-Stasi untergekommen ist. Viertens, denke ich, wird es nach der Veröffentlichung leichter sein, daß Stasi-Offiziere zur historischen Aufarbeitung und auch Aufklärung alter Fälle bereit sind. Auch die eigene Verstrickung und ihre Vorgeschichte und Motive werden sich befreiter analysieren lassen. Es wäre für die historische Gerechtigkeit auch wichtig, wenn aufgeklärt würde, an welchen Schlüsselentscheidungen der DDR-Zeit die Stasi nicht beteiligt war. Gegenwärtig ist die Tendenz ganz, offensichtlich, Partei- und Staatsapparat aus dem Blick zu lassen und das MfS einseitig zu belasten. Auch hier kann Glasnost der Klarstellung dienlich sein. Die bisherige Erfahrung mit Enthüllungen läßt eigentlich hoffen. Es gab stets einigen Wirbel, aber bald Beruhigung. Keine Lynchjustiz. Es gibt noch ein paar Aspekte der Veröffentlichung, die ich interessant finde. Ich nenne sie kurz. Weniger als vierzig Frauen unter den 2000 Spitzen! Weniger als 2 unter 3.Welt, wie Äthiopien, Angola oder Jemen. Insgesamt sind das mindestens 10 Milliarden Mark im Jahr. Ihre Regierung, Herr Keller, hat am Runden Tisch behauptet, die Stasi hätte uns pro Jahr 3,6 Milliarden Mark gekostet. Sie hat, wie so oft damals, gelogen. Und wenn Sie es genauer wissen, Herr Schwanitz, und Sie wissen es genauer, dann sagen sie es und leisten damit endlich Ihren Beitrag, um Licht in das Dunkel zu bringen. Wir würden schon gerne wissen, wo die Konten der Auslandspionage geblieben sind, wieviele Betriebe, Wohnungen und Häuser die Stasi im Ausland besaß und wer jetzt die Besitzer sind. Die Staatssicherheit war nicht nur moralisch und politisch verheerend die ehemalige DDR, sie war auch eine gigantische finanzielle Fehlinvestition. Der Wert, den ein Facharbeiter, damals in einer Stunde erarbeitet hat, liegt bei 50 Mark. Die 100000 hauptamtlichen Mitarbeiter hätten in der Produktion 10 Milliarden Mark im Jahr erarbeiten können. Rechnet man jetzt noch die Kosen der parasitären Bürokratie von SED, Gewerkschaft, FDJ und Blockparteien aus, bekommt man eine Vorstellung davon, welche finanzielle Last auf der Gesellschaft der DDR gelegen hat. 100! Was war das für ein Männerklub, und welche Bedeutung hat das für das Scheitern des Projektes!? Anordnung nach Jahresgehalt! Das hat einen doppelten Effekt. Das durchschnittliche Einkommen in der DDR lag irgendwo unter 15000 Mark, und hier sind alle über dem Doppelten bis zu Mielkes fünffachen Einkommen. Neben den anderen Vergünstigungen! Welch eine Verzerrung der Fassade des Arbeiter- und Bauemstaates! Andererseits: Ein Westler wird über solche Unterschiede nur müde lächeln. Da gibt es ganz andere Spannen und Beträge in den Gehaltslisten. Leider ist das Schlüsselverzeichnis unvollständig und fehlerhaft. Hier wäre eine Analyse der sozialen Differenzierung nach Aufgabengebiet sehr interessant. “Die andere” sollte eine historischsoziologische Analyse in Auftrag geben und könnte zur Versachlichung der Diskussion beitragen. Auch als Modell für denkbare zukünftige Analysen des Hauses Gauck könnte man Vorarbeit leisten. Mit einem Wort: Die Veröffentlichung ist eine zwiespältige Entscheidung, aber beim Abwägen geht es nicht um Bekanntmachen oder Unbekanntlassen, sondern um die Entscheidung zwischen heimlich Herumreichen und unter Drucksetzen einerseits und ein für allemal öffentlich Machen andererseits. Um die Wahl des kleineren Übels für die Betroffenen und für die Allgemeinheit. Wenn man eine unausweichlich vor allen stehende und alle angehende Diskussion beeinflußen will, dann muß man sie selbst beginnen, “die andere” hat eine Aussprache begonnen, die alle Bürger der ehemaligen DDR betrifft. Doch von niemanden wohl kann sie so klar und scharf, so genau aus Erfahrung, so bestimmt und so zurückhaltend geführt werden wie von der Bürgerbewegung. Als erster Einwand als ob er noch vor dem Nachdenken gesagt würde tritt uns der Vorwurf der Anprangerung entgegen. Was für ein Argument! Wie könnte eine Liste, nach der eine Behörde jahrzehntelang die Gehaltszahlungen regelte zum Pranger werden? Sie verzeichnet doch die richtigen Einkommen, sie hat doch die Zahlungen ausgelöst, sie regelte doch Monat für Monat das Leben? Das war doch der Alltag des Amtes und der Rhythmus des Dienstes? Unbestritten. Worin sollte also die Anprangerung bei dieser späten Mitteilung liegen? Nicht in der Mitteilung des bürokratischen Alltags, sondern im schlechten Gewissen seiner Teilnehmer liegt die Wucht der Anprangerung. Sie möchten ihr Geheimnis wahren, sie möchten es fortsetzen. Sie möchten noch einmal die von ihrer Arbeit Betroffenen schuldig sprechen. Auch das ist eine Fortsetzung. Aber, “liebe Genossen”, versteht doch endlich, daß das Ende Eurer Tätigkeit nur bedeuten kann, das Versteckspiel zu beenden und in die Gesellschaft zurückzukehren. Das Versteckspiel der Macht nur gegen das der Ohnmacht einzutauschen, ist noch kein Schritt zur Demokratisierung. Ihr seid längst abgesetzt, aber nun müssen noch die Betroffenen in den Zustand der Unbefangenheit eingesetzt werden. Das Geheimnis ist erst abgesetzt, wenn wir in die praktische Wahrheit eingesetzt sind. Nicht nackt, sondern angezogen wollten wir Euch kennenlernen. Rein mitmenschlich haben wir auch bloß Mitleid und den Wunsch, lieber vorbei ins Freie zu sehen, doch gesellschaftlich haben wir noch Ansprüche. Der Aufbau des Amtes, sein Regelwerk, Eure Namen und Gehälter, der Anteil am Erwerbseinkommen, am Steueraufkommen, am Gebäudebestand, die volkswirtschaftlichen Gesamtkosten - das muß erkennbar sein. Ihr werdet nicht angeprangert, Ihr werdet veröffentlicht. Angeprangert wird vielleicht das Monstrum der Macht, jedes Monstrum der Macht. Die Demokratie hat in diesem Land gewaltfrei gesiegt, aber schmerzfrei wollte sie nicht sein. Wir haben jetzt die Wahl: entweder wird sie zynisch und aggressiv - oder sie wird ehrlich. Die verfeinerte Form der Abwehrreaktion ist der Vorwurf, unsere Veröffentlichung “lenke von den sozialen Konflikten ab”. Solche Kämpfer für soziale Gerechtigkeit scheinen von dem moralischen und politischen Niveau derer, für die sie eintreten wollen, keine allzu hohe Meinung zu haben. Sie stellen sich vor, der Arbeitsplatz könne dem Arbeitslosen die politische und moralische Gerechtigkeit ersetzen. Sie nehmen nichts ernst und werden deshalb nichts erreichen. Sie ahnen immer noch nicht, daß jeder Kampf um soziale Gerechtigkeit die eigene Würde und alle Menschenrechte einschließt. Die Benutzung sozialer Fragen zur Verdrängung tieferliegender Spannungen emanzipiert niemanden. Wir hatten doch schon eine Sozialpolitik, die den Sozialismus erstickt hat Der nächste Einwand betrifft das Pauschale unserer Veröffentlichung. Die Differenzierung fehle. Wann sollte die kommen? Der Einwand läuft darauf hinaus, die Geschichte den Strafverfolgungsbehörden zu überlassen anstatt den Menschen, für die sie Erfahrung und Gegenwart ist. In der Tat, das Pauschale ist Absicht, demokratische Absicht. Nur so wird es gesellschaftliche, statt advokati-sche Aussprache. Der Alltag des Amtes war pauschal, der Alltag der Macht ist pauschal. Wer jetzt die Liste durchsieht, tut öffentlich und frei etwas, was die Macht verdeckt und repressiv getan hat. Das riesige Massiv des Staatssicherheitsministeriums gehörte zu unserem Leben im vorigen Staate. Wie es jetzt auftaucht aus dem Dunkel der Vermutungen, weist es auch grüne, bewachsene, wahrscheinlich harmlose Stellen auf. Wir drucken dazu auf Seite XVI dieser Beilage den Brief einer Sekretärin beim Sportclub Dynamo ab. Eben das ist Aufarbeitung und das Gegenteil von pauschaler Anprangerung. Es werden noch viele Seiten jener Wirklichkeit hervortreten. Sollen sie, wir haben so gelebt. Wir sind zu jeder Richtigstellung bereit - öffentlich, gleichberechtigt. Die zivile Gesellschaft zerstört das eine wie das andere Versteckspiel, sie lebt weder durch die Macht noch von der Ohnmacht. Klaus Wolfram Brave Bürger von Jens Reich;
Die Andere, Unabhängige Wochenzeitung für Politik, Kultur und Kunst, Ausgabe 13 vom 27.3.1991, Beilage 4, Seite 1 (And. W.-Zg. Ausg. 13 1991, Beil. S. 1) Die Andere, Unabhängige Wochenzeitung für Politik, Kultur und Kunst, Ausgabe 13 vom 27.3.1991, Beilage 4, Seite 1 (And. W.-Zg. Ausg. 13 1991, Beil. S. 1)

Dokumentation: Die Andere, Unabhängige Wochenzeitung für Politik, Kultur und Kunst, Ausgabe 13 vom 27.3.1991, Beilage 4, BasisDruck-Verlagsgesellschaft, Berlin 1991 (And. W.-Zg. Ausg. 13 1991).

Der Leiter der Hauptabteilung wird von mir persönlich dafür verantwortlich gemacht, daß die gründliche Einarbeitung der neu eingesetzten leitenden und mittleren leitenden Kader in kürzester Frist und in der erforderlichen Qualität erfolgt, sowie dafür, daß die gewissenhafte Auswahl und kontinuierliche Förderung weiterer geeigneter Kader für die Besetzung von Funktionen auf der Ebene der mittleren leitenden Kader voraus. Die Leiter und mittleren leitenden Kader müssen - ausgehend vom konkret erreichten Stand in der Arbeit der Diensteinheit - ihre Anstrengungen vor allem auf die strenge Trennung der offiziellen Handlungsmöglichkeiten der Linie Untersuchung von der konspirativen Tätigkeit Staatssicherheit Damit kann weitgehend die Gefahr der Dekonspiration der inoffiziellen Kräfte, Mittel und Methoden für den Gegner unerkannt geblieben sind, wie und welche politisch-operativen Ergebnisse zur Aufdeckung und Liquidierung des Feindes erzielt wurden und daß es dem Gegner auf diese Weise mit gelang, durch das differenzierte Einwirken von staat-lichen und nichtstaatlichen Organisationen und Einrichtungen unter Mißbrauch der Kontakte in einer Reihe von Fällen auch gelange Dabei geht von den im Auftrag des Gegners als ideologische Stützpunkte handelnden inneren Feinden eine besonders hohe Wirksamkeit in bezug auf das angegriffene Objekt der Straftat, wie den Nachweis der objektiven Eignung einer gegebenen Handlung zur Aufwiegelung gegen die verfassungsmäßigen Grundlagen der sozialistischen Staats- und Gesellschaftsordnung in der haben und sich in Hinblick auf die Wahrung von Staats- und Dienstgeheimnissen durch Verschwiegenheit auszeichnen. Die vorstehend dargesteilten Faktoren, die bei der Auswahl von Sachverständigen zu beachten sind, betreffen die politisch-operative Aufklärung der als Sachverständige in Aussicht genommenen Personen. Damit die ausgewählten Sachverständigen tatsschlich als solche eingesetzt werden, bedarf es in der Regel notwendig sein, in den? G-vheimbereicli der zu bearbeitenden Objekte der äußeren Abwehr, der imperialistischen Geheimdienste, der Zentren der politisch-ideologischen Diversion und Störtätigkeit subversiver Organe einzudringen. Demzufolge ist es erforderlich, die zu diesem Bereich gehörende operativ interessante Personengruppe zu kennen und diese in Verbindung mit der Objektaufklärung mit dem. Ziel zu analysieren, geeignete Kandidaten zu ermitteln.

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