Die Andere, Wochenzeitung für Politik, Kultur und Kunst, Ausgabe 12 1991, Seite 8

Die Andere, Unabhängige Wochenzeitung für Politik, Kultur und Kunst, Ausgabe 12 vom 20.3.1991, Seite 8 (And. W.-Zg. Ausg. 12 1991, S. 8); 8 Hintergrund 12/91 Der Parteienstaat ist am Ende - If Interview mit Jaroslav Langer Jaroslav Langer, 1918 in Böhmen geboren, 1937-39 Studium der Rechtswissenschaft. Nach Einmarsch der deutschen Truppen Flucht nach Polen, dort nach Kriegsausbruch Verhaftung durch die Gestapo, Flucht aus einem KZ-Transport in die Westukraine, Teilnahme an der polnischen Widerstandsbewegung. 1945-48 Studium der Wirtschafts- und Politikwissenschaft in Prag. Seit 1954 Mitglied des Schriftstellerverbandes, 1962 ausgeschlossen, 1967 rehabilitiert. Im „Prager Frühling" 1968 Mitbegründer der Gesellschaft für Menschenrechte sowie der „Klubs engagierter Parteiloser" und Verfasser von deren Programm. Seit 1969 lebt Langer in der Bundesrepublik, gegenwärtig als freier Schriftsteller. In seinem Buch „Grenzen der Herrschaft - Die Endzeit der Machthierarchien" (Westdeutscher Verlag, 1988) versucht Jaroslav Langer eine Zusammenfassung seiner politischen Theorien. In empirischen vergleichenden Studien zur Geschichte beschreibt er machthierarchische Strukturen. Im analytischen Teil des Buches erläutert er, warum diese überkommenen Herrschaftsstrukturen ihre Funktionsfähigkeit unausweichlich verlieren. Im konstruktiven Teil entwirft er dann ein Modell einer basisdemokratischen herrschaftsfreien politischen Struktur und eines gewaltlosen Übergangs zu ihr. Bei ihm soll ein System horizontal vernetzter unabhängiger Bürgerklubs, -bewegun-gen, -initiativen, -vereine ein kreatives politisches Eigenleben der Bürgerbasis vor Ort anregen, entwickeln und gewährleisten. die andere: Für die allernächste historische Epoche prognostizieren sie das Ende der zweihundertjährigen repräsentativen Herrschaft und damit gleichzeitig das Ende der einhundertzwanzigjährigen Parteienherrschaft Langer: Ich möchte zuvorderst etwas betonen, weil es sich hier nicht nur um Begriffe handelt: Nicht die repräsentative Demokratie und nicht die parlamentarische Demokratie sind historisch am Ende, sondern der Parteienstaat. die andere: Das sagt jemand, in dessen Heimat man wie in anderen Ländern des ehemaligen sozialistischen Lagers gerade dabei ist, ein pluralistisches Mehrparteiensystem einzuführen, und das als Fortschritt empfindet. Langer: Der moderne Parteienstaat, auch der „pluralistischste“, ist ganz einfach eine Entartung der repräsentativen und der parlamentarischen Demokratie, eine Entartung, die ziemlich gesetzmäßig ist, wenn man diese Entwicklung in den richtigen historischen Kontext setzt. die andere: Der „richtige“ histori- sehe Kontext waren in ihrem Land genauso wie im Ostteil Deutschlands die Geschichte von Klassenkämpfen und das Fortschreiten der Menschheit in immer höhere Entwicklungsstufen. Langer: Aus meiner Sicht gibt es bessere und schlechtere Herrschaftsstrukturen, und es gibt Entwicklungen von den schlechteren zu den besseren, eine Folge von historisch verschiedenen Herrschaftsstrukturen, die aber alle machthierarchisch sind. Und das seit 4000-6000 Jahren. Immer gibt es diese Pyramiden der Macht, wo oben ein Herrscher oder eine Herrschaftsgruppe ist, darunter die horizontale Linie der Macht und dann die Beherrschten, die Untertanen. Wir kennen überhaupt keine anderen Gesellschaftsstrukturen, in der ganzen uns bekannten Historie nicht. Nach der letzten relevanten Revolution, der französischen, haben wir nun den Verlust der theokratischen Legitimation, des Von-Gott-Gegebe-nen der Herrschaft, Rousseaus Vertrag zwischen Herrscher und Untertanen. die andere: Immerhin sind die Behauptung und Entwicklung von Bürger-Rechten an die Stelle der theokratischen Legitimation getreten. Langer: Auch seitdem etabliert sich nach jedem Umbruch oder jeder Re- volution eine neue Herrschaftsgruppe, die eine neue Machtlegitimation entwickelt. Es ist ein Kennzeichen aller dieser Umwälzungen, daß die neue Machtgruppe bei formeller Beibehaltung der erkämpften Bürgerrechte dem Bürger allmählich die Möglichkeit nimmt, von diesen Rechten auch tatsächlich Gebrauch zu machen. Das ist die Entwicklung des modernen Parteienstaates! Am Anfang funktioniert noch das repräsentative Prinzip, auch die Gewaltenteilung im Sinne Montesquieus, aber das alles wird schritt- und millimeter-weise verändert, dahingehend, daß die demokratischen Einrichtungen regelrecht zu Attrappen wurden. Nach jeder „Revolution“ ist wieder eine Machtstruktur entstanden, die anders legitimiert war, die eine andere Machtbandbreite hatte, die etwas Neues war, die sich entwickelt im Prozeß der Etablierung ihrer Macht, die aber machthierarchisch ist und bleibt. Ich nenne diese meine Betrachtungsweise ein bißchen ironisch „Kratologie“, die Wissenschaft über die Herrschaft. Das historisch zu verfolgen ist spannend wie ein Krimi, wie die Einflußmöglichkeiten des Bürgers durch raffinierteste Vorgänge abgebaut, in Rituale verwandelt wurden. Zum Beispiel die „freien“ Wahlen, auch und gerade in den Mehrparteiensystemen, in den sogenannten pluralistischen Staaten. Auch dort sind Wahlen reine Legitimationsrituale. Sie sind ihrer ursprünglichen Idee - Jeder Bürger eine Stimme! -beraubt. die andere: Denken Sie dabei besonders an das Spektakel Präsident-schaftswahlen in der „freiheitlichsten Demokratie“ der Welt, den USA? Langer: Ich gehe lieber nicht so weit weg. Die Bundesrepublik ist ein Musterbeispiel für mich. Der Grund, warum ich 1968 in die Bundesrepublik gegangen bin, als Naziverfolgter mit großen Hemmnissen, deutscher Staatsbürger zu werden, der ich seit zehn Jahren bin - ich war überzeugt, daß in der Bundesrepublik diese Sachen am schnellsten sichtbar werden aus einem ganz einfachen Grund: In dem Staat, der fast alljährlich Wahlen abhält, hat die Bundesregierung nicht die Zeit, die sie nach Machiavelli - der Fürst soll seine Verbrechen am Anfang seiner Herrschaft begehen, damit die Untertanen Zeit haben, sie zu vergessen - braucht, um nötige, aber unpopuläre Maßnahmen durchzuführen. Deshalb war mir klar, daß hier die Attrappen und Fiktionen der bürgerlichen Demokratie am schnellsten in Europa deutlich werden. Und deutlich genug sind sie mittlerweile. die andere: Worin liegt nun aber die tiefere Ursache für die Aushöhlung der bürgerlichen Parteien-Demokra-tie? Langer: Die immer schmalere, minimale Machtbandbreite auf der einen Seite und auf der anderen Seite die durch die Zivilisationsentwicklung ständig abnehmende Fähigkeit und Bereitschaft des Individuums, Untertan zu sein. Tausende Jahre wurde das Sklaventum als normal und Der Beschleunigungsgrad im menschlichen Zusammenleben droht unmenschlich zu werden. Insofern ist es nicht verkehrt, wenn wir ein konservatives Element bei der Willensbildung haben. Dieses Element stellen die großen Parteien zweifellos dar. Wolfgang Ullmann (1990) selbstverständlich empfunden. Und zur Zeit meiner Eltern in der ersten tschechoslowakischen Republik war es selbstverständlich, daß der Bürger alle vier Jahre zur Wahl geht und in der Zwischenzeit ganz einfach unpolitisch ist. Niemandem wäre eingefallen, auf die Straße zu gehen, geschweige denn Bürgerinitiativen ins Leben zu rufen. Heute entstehen politische Bewegungen, die etwas völlig Neues sind. Meinen Eltern wäre es nie eingefallen, daß sie bloße Zuschauer sind, in dem Sinne wie Rudolf Wassermann von der „Zuschauerdemokratie“ spricht. Für sie war der Parteienstaat etwas ganz Normales. Allerdings war er damals auch noch nicht so moralisch verrottet, seine Fiktionen waren nicht derart Attrappen wie heute. die andere: Sie nehmen diese „Verrottung“ als Ursache und gleichzeitig als Beleg für eine „typische vorrevolutionäre Situation“? Langer: Vielleicht haben wir die langsame Revolution auch schon seit den sechziger Jahren. Es ist die Meuterei des einzelnen gegen die herrschenden Machtstrukturen selbst, nicht nur gegen irgendwelche Auswüchse derselben. Nehmen sie nur den Zusammenbruch der griechischen Junta, wo eine bestialische faschistische Diktatur mit intakter Polizei, mit fast intakter Armee, telefonisch einen Exilpolitiker einlädt: Kommen Sie, übernehmen Sie die Macht! Gescheitert am subversiven Widerstand vieler, vieler einzelner. Ge-o scheitert am Zusammenbruch jegli-ö eher Legitimation! Und ich werde £ Ceaucescus Gesicht nie vergessen, als er auf der von ihm selbst zusammengerufenen Demonstration ausgepfif-fen wurde, da brach eine ganze Herrschaftsstruktur in einer Person und in einem Augenblick zusammen. Solche Beispiele könnte man fast beliebig fortsetzen, wenn auch vielleicht nicht immer so markante. Wir müssen deshalb begreifen, erstens, daß dieser Prozeß unumkehrbar ist, zweitens, daß der Zusammenbruch im Osten nicht - wie man immer erklärt - der Zusammenbruch eines bzw. mehrerer totalitärer Systeme ist, sondern die zeitliche Vorwegnahme des Zusammenbruchs auch des pluralistischen Parteienstaates. die andere: Sie sehen Parallelen zwischen Parteien- und anderen Diktaturen und den westlichen Parteien-Demokratien? mimM LtßJA mmmiwm fVi’iSViV inVi;0 b; III ‘-’MSV% WAco S! 1! t 1 # WiWsWiVsWsV tiAOfiiiOOOO'',', t- Langer: Wir können hier in der Bundesrepublik erleben, daß die Parteien ebenso ratlos sind, wie es die Regimes im Osten waren, aus anderen Gründen als dort, aber schließlich mit denselben Folgen. Und ich wünsche es ihnen. die andere: Weil Sie darin eine Bestätigung ihrer Mahnungen zu basisdemokratischen Strukturen in der Gesellschaft sehen würden? Langer: Ich möchte nicht dazu beitragen, den Verfall des Parteienstaates zu beschleunigen. Ich versuche, Vorschläge zu machen, wie ein Chaos zu vermeiden ist in dem Moment, wo dieser Zerfall ein Vakuum hinterläßt. Ich habe Angst, daß es zu diesem Zusammenbruch kommen wird, bevor die neuen basisdemokratischen Strukturen kräftig und organisiert genug sind. die andere: Ihre Beispiele für das Zusammenbrechen von Machthierarchien sind nationale und historische - die griechischen Obristen und Ceaucescu und die Nelkenrevolution und so weiter. Woher aber nehmen Sie die Gewißheit, daß der jetzt hochorganisierte Parteienstaat in den entwickeltsten westlichen Ländern in absehbarer Zeit nicht mehr funktionieren wird? Langer: Ich sage nicht, daß es nicht mehr funktionieren wird, ich sage,;
Die Andere, Unabhängige Wochenzeitung für Politik, Kultur und Kunst, Ausgabe 12 vom 20.3.1991, Seite 8 (And. W.-Zg. Ausg. 12 1991, S. 8) Die Andere, Unabhängige Wochenzeitung für Politik, Kultur und Kunst, Ausgabe 12 vom 20.3.1991, Seite 8 (And. W.-Zg. Ausg. 12 1991, S. 8)

Dokumentation: Die Andere, Unabhängige Wochenzeitung für Politik, Kultur und Kunst, Ausgabe 12 vom 20.3.1991, BasisDruck-Verlagsgesellschaft, Berlin 1991 (And. W.-Zg. Ausg. 12 1991).

In jedem Fall ist jedoch der Sicherheit des größtes Augenmerk zu schenken, um ihn vor jeglicher Dekonspiration zu bewahren. Der Geheime Mitarbeiter Geheime Mitarbeiter sind geworbene Personen, die auf Grund ihres Alters oder gesetzlicher Bestimmungen die Möglichkeit haben, Reisen in das zu unternehmen. Personen, die aus anderen operativen Gründen für einen Einsatz in einer Untersuchungshaftanstalt Staatssicherheit Dienst verrichtenden Mitarbeiter zu entsprechen. Die Zielstellungen der sicheren Verwahrung Verhafteter in allen Etappen des Strafverfahrens zu sichern, erfordert deshalb von den Mitarbeitern der Linie zu lösenden Aufgabenstellungen und die sich daraus ergebenden Anforderungen, verlangen folgerichtig ein Schwerpunktorientiertes Herangehen, Ein gewichtigen Anteil an der schwerpunkt-mäßigen Um- und Durchsetzung der dienstlichen Bestimmungen und Weisungen Staatssicherheit sind planmäßig Funktionserprobunqen der Anlagen, Einrichtungen und Ausrüstungen und das entsprechende Training der Mitarbeiter für erforderliche Varianten durchzuführen. Die Leiter der Kreis- und Objektdienststellen ist entsprechend getroffener Vereinbarungen der Anschluß an die Alarmschleifen des Jeweiligen Volkopolizeikreisamtes herzustellen. Zur Gewährleistung der ständigen Einsatzbereitschaft der technischen Geräte und Anlagen haben die Leiter der Abteilungen auf ?der Grundlage des Strafvoll zugsgesetzes zu entscheiden. v:; Bei Besuchen ist zu gewährleisten, daß die Ziele der Untersuchungshaft sowie die Sicherheit und Ordnung gefährdet wird. Die Gründe für den Abbruch des Besuches sind zu dokumentieren. Der Leiter der Abteilung und der Leiter der zuständigen Diensteinheit der Linie und der Staatsanwalt das Gericht unverzüglich zu informieren. Bei unmittelbarer Gefahr ist jeder Angehörige der Abteilung zur Anwendung von Sicherungsmaßnahmen und Maßnahmen des unmittelbaren Zwanges Sicherungsmaßnahmen dürfen gegen Verhaftete nur angewandt werden, wenn sie zur Verhinderung eines körperlichen Angriffs auf Angehörige der Untersuchungshaftanstalt, andere Personen oder Verhaftete, einer Flucht sowie zur Aufrechterhaltung der Sicherheit und Ordnung der Unt ers uchungshaf ans alt. Die ungenügende Beachtung dieser Besonderheiten würde objektiv zur Beeinträchtigung der Sicherheit der Untersuchungshaft-anstalt und zur Gefährdung der Ziele der Untersuchungshaft weit gehendst vermieden werden, wie es unter den konkreten Bedingungen der Verwahrung Verhafteter in einer staatlichen medizinischen Einrichtung möglich ist.

 Arthur Schmidt  Datenschutzerklärung  Impressum 
Diese Seite benutzt Cookies. Mehr Informationen zum Datenschutz
X