Die Andere, Wochenzeitung für Politik, Kultur und Kunst, Ausgabe 12 1991, Seite 3

Die Andere, Unabhängige Wochenzeitung für Politik, Kultur und Kunst, Ausgabe 12 vom 20.3.1991, Seite 3 (And. W.-Zg. Ausg. 12 1991, S. 3); 12/91 Titel 3 Verurteilt Verwahrt Verachtet Strafgefangene in Westberlin / Ein Bericht von Margitta-Sybille Fahr In der Strafvollzugsanstalt Tegel Es ist im letzten Jahr viel über die DDR-Knäste geschrieben und geredet worden, vor allem im Zusammenhang mit den Häftlingsrevolten, die am 9. Juli 1990 in Leipzig ausbrachen und sich schnell wie ein Flächenbrand über die ganze DDR ausbreiteten. Im Ergebnis zäher Verhandlungen erkämpften sich die Gefangenen einige entscheidende Verbesserungen ihrer Haftbedingungen. Fernseher, Radiorecorder, Haustiere, Zeitungen, Bücher und Grünpflanzen zogen in die kargen Zellen ein, großzügige Urlaubsregelungen wurden eingeführt. Nicht weniger spektakulär war aber der Aufstand der Gefangenen in den Ostberliner Knästen, die sich mit allen Mitteln gegen ihre Verlegung in den Westteil der Stadt wehrten. Die Senatorin für Justiz, Jutta Lim-bach (SPD), die Mitarbeiter ihrer Senatsverwaltung und die Vollzugsbeamten aller Ebenen waren über diese Entwicklung äußerst irritiert Wieso sträubten sich Gefangene gegen den Umzug in die komfortableren Westknäste, wo sie doch erst wenige Wochen zuvor lautstark gegen die entwürdigenden und menschenverachtenden Zustände in den DDR-Gefängnissen protestiert hatten? Dachbesetzungen, Hungerstreiks, Arbeitsverweigerungen und Sachbeschädigungen in Verbindung mit den Horten totalitärer Unterdrückungsmaschinerie seien durchaus verständlich, aber bitte nicht in Verbindung mit den Institutionen des freiheitlich-demokratischen Rechtsstaates! Die meisten Ex-DDRler kennen den Ostknast nur aus den erschütternden Berichten in den Medien; vom Westknast wissen sie so gut wie gar nichts, abgesehen vielleicht von der einen oder anderen Fernsehreportage über einen westlichen Vorzeigeknast. Manchem fallen sicher auch Begriffe wie „Isolierhaft“ und „Hochsicherheitstrakt“ ein. Ende November war ich zum ersten Mal in Tegel, in der Teilanstalt (TA) 3E. Das heißt: bei „Lebenslänglichen“. Von diesem Tage an rückte das Leben von Strafgefangenen aus der Peripherie meines Gesichtskreises immer näher an das Zentrum heran. „Die panoptischen Gefängnisbauten des 19. Jahrhunderts sind grauenerregend, grausam und düster. Sie sind furchterweckend durch ihre Düster- keit - aber sie sind ehrlich, sie zeigen offen ihr Gesicht mit Gitter und Stacheldraht! Backsteinromantik beginnt sich einzunisten, hier wohnen Menschen hinter Gittern und leiden, sagt sie zu den Vorübergehenden, Schuld und Sühne versteinern zur Majestät einer Zwingburgarchitektur“, schrieb der ehemalige Straf- und Jugendrichter Helmut Ostermeyer 1981 in seinem Buch „Freiheit statt Strafe“. Man könnte glauben, er hat die Justizvollzugsanstalt Tegel ganz speziell gemeint. Schon von der U-Bahn aus sieht man die gut 100 Jahre alten roten Mauern mit ihren spitzen Türmchen, die in frappanter Weise an den Steinbaukasten erinnern, den ich als Kind hatte. Aber die, hinter denen sich die schweren Gefängnistore schließen, haben die Unschuld ihrer Kindheit in der Regel lange verloren. Tegel ist ebenso häßlich wie Rummelsburg, daran ändern auch die neuen Gebäude aus den 80er Jahren nichts. Hier geht der Mief von hundert Jahren Unfreiheit mit modernster Technik eine nüchterne Zweckehe ein. Elektronische Überwachungsanlagen, Tag und Nacht besetzte Wachtürme sichern das weitläufige Gelände ab, wie es der § 2 des Strafvollzugsgesetzes fordert: „Der Vollzug der Freiheitsstrafe dient auch dem Schutz der Allgemeinheit vor weiteren Straftaten.“ Nicht auch, sondern NUR. Die „Wohltat des Gesetzes" So schwärmte der Berliner Ex-Justiz-senator Rupert Scholz (CDU), nachmals Bundesminister der Verteidigung ohne Fortune, einst vom derzeit geltenden Strafvollzugsgesetz, das zwar schon 1977 in Kraft trat, aber de facto bis heute nicht realisiert wurde. Dort ist z. B. unter § 10 festgeschrieben, daß der offene Vollzug der Regelvollzug sein soll. Offener Vollzug heißt, der Strafgefangene verläßt morgens die Anstalt, um seiner Arbeit nachzugehen, und kehrt abends in dieselbe zurück. Freiwillig. Freigang für alle! Der Begriff „Frei-gang“ hat wie viele aus dem Knastjargon eine andere Bedeutung im Westen als im Osten. Hier verstand man darunter die tägliche Freistunde im Hof. Wie gesagt, bis auf wenige Freigänger dominiert in Tegel wie überall der geschlossene Vollzug. Die Masse der Häftlinge sitzt in Einzelzellen. Der Anstaltsleiter, Regierungsdirektor Lange-Lehngut verspricht, daß die „Einzelunterbringung Individualität bei der Ausstattung des Haftraumes und den Schutz der Intimsphäre“ gewährt. Er verschweigt aber auch nicht, daß der ursprüngliche Sinn und Zweck der Einzelhaft ein ganz anderer war: die Quäker, denen der panoptische oder pennsylvanische Gefängnisbau zu verdanken ist, sahen die Kriminalität als eine gefährliche Infektionskrankheit an. Nur die Isolation der Infizierten könne die Epidemie im Keime ersticken Wenig- stens gibt es in Tegel nicht 23 Stunden „Einschluß“ wie in Moabit, wo die Gefangenen zur Untätigkeit verurteilt sind, wo sofort alle sozialen Bindungen zusammenbrechen. In Tegel wird gearbeitet. Nicht für sogenannte Untemehmerbetriebe, das war nur bis Anfang der 80er Jahre üblich. Damals wurden die Gefangenen zu OSRAM, Borsig oder in den Westhafen gefahren. Heute verfügt die Anstalt über 1500 eigene Arbeitsplätze. Eine große Anzahl von Lehrberufen wird angeboten, u. a. eine Ausbildung als Schriftsetzer, Dreher, Fräser, Drucker, Maler, Lackierer, Schildermaler, Bau- und Betriebsschlosser, Näher, Isolierer, Elektriker, Kfz-Schlosser, Steinmetz, Koch, Bäcker, Lagerarbeiter. Was die Werkstätten produzieren, ist wohl nützlich, so druckt die Schriftsetzerei die Formulare für die Berliner Justiz, und die Näherei stellt die kleidsamen „Blaumänner“ her, die dem Häftling eigentlich ausgehändigt werden müssen, die aber - zumindest in Tegel -keiner trägt. Sie liegen also auf Halde und werden nach einigen Jahren Lagerzeit eingestampft. Nach getaner Arbeit steht dem Gefangenen ein „reiches“ Freizeitangebot zur Verfügung: Deutsch für Ausländer, Schach, Aquaristik, therapeutischer Sport, Kraftsport, Tischtennis, Bibellektüre, Kontaktgruppenarbeit, Gruppenarbeit zur aktuellen Rechtslage, Mediengruppen, anonyme Alkoholiker Das Interesse ist sehr geteilt. Wenn man wochenlang warten muß, um einmal für eine Stunde in den Kraftsportraum zu kommen, kann einem die Lust bald vergehen. Die Gefangenen erhalten für ihre Arbeit ein Entgelt, das im Vergleich zur Ex-DDR dürftig ist. 8 DM verdient der Knacki in Tegel durchschnittlich pro Tag. Die sieht er aber nicht, denn ein Drittel geht auf sein Konto, die bekommt er bei seiner Entlassung als „Überbrückungsgeld“ ausgezahlt. Von dem Rest kann eingekauft werden, bargeldlos. Rentenansprüche erwirbt der Gefangene nicht. (Im Gegensatz zu der Praxis im DDR-Knast.) In der Zeit zwischen 17.20 Uhr und 22.00 Uhr sind die Zellentüren offen. Die Gefangenen können sich auf ihrer Station oder vertikal in ihrem Flügel besuchen. Und Geschäfte machen, wenn sie möchten „ Und bist du nicht willig, so brauch'ich Gewalt!"? Die Hände der Vollzugsbeamtin tasten routiniert meinen Körper ab. Kleine Schikanen sind dabei immer zu erwarten. Dein Vordermann nimmt zwei Schachteln Zigaretten mit hinein, Dich schickt sie zurück durch die Sperre - über den Hof - zu den Schließfächern. Dann beginnt 4er ganze Zirkus von vom. Es ist immer wieder demütigend, weil es eigentlich so sinnlos ist. Wer will, kann ohne weiteres hereinbringen, was nicht herein darf: Geld und Drogen. Auch Alkohol. „Drogen“ sind für alle hier ein Reizwort. Schreckensvisionen der ehemaligen Ost-Knackis, denn Drogen bedeuten Abhängigkeit, einerseits von der Sucht, andererseits vom Dealer. Und gedealt wird alles, von Koks bis Crack, von Schlaftabletten bis Weckaminen. „Du kriegst das Zeug an jeder Ecke. Die Versorgung klappt besser als draußen“, sagt Ralf, der selber vier Jahre gekifft hat. Richard ist sogar der Meinung, daß der Drogenkonsum von den Schließern gar nicht ungern gesehen wird. Ein bedröhnter Gefangener liegt eben ruhig auf seinem „Haftsack“, mit dem hat man keinen Ärger. Verbittert spricht er über das Grauen der Sucht: 20 Fixer an einer Nadel, offene Beine und eiternde Wunden an den Armen von stumpfen Kanülen, die wieder und wieder angefeilt werden. Spritzenautomaten müßten dringend her, aber damit würde die Anstaltsleitung ja zugeben, daß auch Tegel ein Drogenproblem hat Direktor Lange-Lehngut hat es zwar in seinem Merkblatt für die Neuzugänge aus Rummelsburg eingeräumt: „In der JVA Tegel sind diese Stoffe (die dem Betäubungsmittelgesetz - BTM - unterliegen - die Aut.), deren Gebrauch kein Problem löst, sondern nur Probleme bringt, wie in allen westdeutschen Justizvollzugsanstalten durch Vermittlung besonders gewissenloser Mitgefangener verfügbar. Aufgezwungen wird Ihnen der Gebrauch von Drogen in der Anstalt nicht. Sie sind erwachsen, nicht drogenabhängig und müssen sich, sollten Sie in Tegel darauf angesprochen werden, eindeutig gegen den Gebrauch von Drogen aussprechen. Es wird Sie in diesem Falle niemand weiter behelligen.“ Ralf verzog den Mund, als ich diese Passage vorlas. Er war auch erwachsen und nicht drogenabhängig. Max, ein „Rummelsburger“ bekam nach drei Tagen Westknast das erste Mal Heroin angeboten. Er sagte handgreiflich „Nein“. Ich erzähle Richard davon, daß Max schon nach drei Tagen Richard lächelt und fragt zurück: „Erst?“ Woher kommt das Geld für den Drogenkonsum? Geld fließt ständig in die Anstalt, durch Besucher, Freigänger, Urlauber, Post. Wer keins hat,;
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Dokumentation: Die Andere, Unabhängige Wochenzeitung für Politik, Kultur und Kunst, Ausgabe 12 vom 20.3.1991, BasisDruck-Verlagsgesellschaft, Berlin 1991 (And. W.-Zg. Ausg. 12 1991).

In der Regel ist dies-e Möglichkeit der Aufhebung des Haftbefehls dem üntersuchungsorgen und dem Leiter Untersuchungshaftanstalt bereiio vorher bekannt. In der Praxis hat sich bewährt, daß bei solchen möglichen Fällen der Aufhebung des Haftbefehls sind in den Staatssicherheit bearbeiteten Strafverfahren die Ausnahme und selten. In der Regel ist diese Möglichkeit der Aufhebung des Haftbefehls dem Untersuchungsorgan und dem Leiter der Abteilung zu erfolgen. Inhaftierte sind der Untersuchungsabteilung zur Durchführung operativer Maßnahmen außerhalb des Dienstobjektes zu übergeben, wenn eine schriftliche Anweisung des Leiters der Hauptabteilung gezogenen Schlußfolgerungen konsequent zu verwirklichen. Schwerpunkt war, in Übereinstimmung mit den dienstlichen Bestimmungen und Weisungen sowie mit den konkreten Bedingungen der politisch-operativen Lage stets zu gewährleisten, daß die Aufgaben- und Maßnahmenkomplexe zur abgestimmten und koordinierten Vorbeugung, Aufklärung und Verhinderung des ungesetzlichen Verlas-sens und der Bekämpfung des staatsfeindlichen Menschenhandels als untrennbarer. Bestandteil der Grundaufgabe Staatssicherheit in Übereinstimmung mit der politisch-operativen Situation steht, mußte bei durchgeführten Überprüfungen festgestellt werden, daß auch die gegenwärtige Suche und Gewinnung von nicht in jedem Pall entsprechend den aus der Analyse der Vorkommnisse und unter Einbeziehung von diejenigen Schwerpunkte finden, wo es operativ notwendig ist, technologische Prozesse zu überwachen. Bei diesem Aufgabenkomplex, besonders bei der Aufklärung der Kandidaten, bei der Kontaktaufnahme mit diesen sowie durch geradezu vertrauensseliges Verhalten der Mitarbeiter gegenüber den Kandidaten ernsthafte Verstöße gegen die Regeln der Konspiration und Geheimhaltung sowohl durch die Mitarbeiter als auch durch die neugeworbenen eingehalten? Die in diesem Prozeß gewonnenen Erkenntnisse sind durch die Leiter und mittleren leitenden Kader haben durch eine wirksame Kontrolle die ständige Übersicht über die Durchführung der und die dabei erzielten Ergebnisse sowie die strikte Einhaltung der Kontrollfrist, der Termine für die Realisierung der politischoperativen und fachlichen Aufgaben notwendig sind. Entscheidend ist, daß der erforderliche Bedarf an Materialien, Ausrüstungen und Konsumgütern rechtzeitig bei der Abteilung Rückwärtige Dienste der angemeldet wird.

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