Die Andere, Wochenzeitung für Politik, Kultur und Kunst, Ausgabe 12 1991, Seite 15

Die Andere, Unabhängige Wochenzeitung für Politik, Kultur und Kunst, Ausgabe 12 vom 20.3.1991, Seite 15 (And. W.-Zg. Ausg. 12 1991, S. 15); 12/91 Bühne/Feuilleton 15 Krimis als Zeitromane Jörg Fausers Werke bei Zweitausendundeins Jörg Christian Fauser Der gut recherchierte und handwerklich gekonnt geschriebene Zeitroman ist heute wohl vor allem als Kriminalroman überzeugend. Eric Ambier und Graham Greene sowie andere angelsächsische Autoren haben vorgeführt, wie man in handlungsstarken Thrillern, die in der Grauzone zwischen Politik und Verbrechen spielen, auf zeitgemäße Art und Weise noch Fragen der Moral behandeln kann. Zu den Schriftstellern, die sich um die Einbürgerung dieses Genres in Deutschland verdient gemacht haben, gehört Jörg Fauser. Die Stellung des Krimis zwischen Unterhaltung und Kunst bringt es mit sich, daß man diesen Romantyp hierzulande nicht so ganz ernst nimmt. Kein Wunder also, daß auch Jörg Fauser kaum bekannt ist. Der berühmte Frankfurter Versand 2001, der seine sorgfältig ausgestatteten Bücher, seine Videos und Schallplatten nicht im Buchhandel, sondern nur direkt oder über eigene Verkaufsstellen vertreibt, legt nun eine Bücherkiste vor, die diese ärgerliche Ignoranz beseitigen helfen kann. Die acht grauen Pappbände der Werkausgabe, denen Titelschildchen im Stil von Polaroidphotos aufgeklebt wurden, sind eine Einladung, alle wichtigen Fauser-Texte zur Kenntnis zu nehmen. Daß dabei auch Unwichtiges zu besichtigen ist, kann man getrost hinnehmen. Für Leser aus den „Fünf Neuen Bundesländern“ gibt Fausers formen- und apsektreiches Schreiben eine aufregende, illusionslose und darum oft auch deprimierende Landeskunde des alten Westens. Zunächst aber: Wer ist dieser Jörg Fauser? Fauser kam von ganz unten, aus der Hölle jahrelanger Drogenabhängigkeit. Der ehemalige Junkie wurde später zum Kultautor jener Lesergemeinde, die in den 70er und 80er Jahren die Stadtmagazine großmachte. Der vormals am Rande lebende Gelegenheitsjobber, der im Milieu der Bahnhofsviertel und Eckkneipen ebenso zu Hause war wie in den Wohngemeinschaften der Politrocker, stieg auf zum variantenreichen Medienarbeiter, der Presse, Funk und Film bediente. Grenzen zwischen Literatur und Journalismus haben ihn ebensowenig gekümmert wie Hemingway oder Joseph Roth, die er nicht von ungefähr zu seinen Vorbildern zählte. Realität und Selbstinszenierung sind kaum zu trennen, wenn man seine vielfältig eingenommene Pose eines Autors, der um sein Leben schreibt, betrachtet. Sein Tod war so sinnlos, banal und brutal wie vieles, was in seinen Geschichten passiert: Auf dem Heimweg von der eigenen Geburtstagsfeier lief er am 17. Juli 1987 in München in ein Auto und starb, 43 Jahre alt. Mit diesem Ende erlosch auch rasch das Interesse an dem, was er geschrieben hat. Und das sollte nicht sein. Zum Besten, was er publiziert hat, gehören die beiden Romane „Schneemann“ (1981; in Band 1 der Ausgabe) und „Das Schlangenmaul“ (1985; Bd. 2). „Der Schneemann“ brachte dem Autor die Anerkennung, um die er lange und (Fortsetzung von Seite 14) mehr. Hänschens Stimmung steigt, als er ein Schnäppchen macht: eine Bratwurst ohne Brot. Die bekommt er für einen Aufpreis von nur, sage und schreibe, 130 Prozent. Hans wird heiß ums Herz, als er am Kino vorbeikommt. Das heißt noch immer, wie es immer hieß, und weckt Erinnerungen an seine Jugendliebe, die den Witwer wehmütig und leichtfertig machen. Trotzdem zögert er und rechnet nach, daß er 320 Prozent zusätzlich berappen müßte, während der monatliche Femsehsteigerungssatz nur mit 80 Prozent zu Spar-Buche schlägt. Fast wie in Friedenszeiten, denkt Hans. Er erschrickt, sieht auf die Uhr und schmunzelt. Wenn Hans unsicher ist, schaut er auf die Uhr. Er läßt das Kino links liegen und schlendert weiter durch die Straßen, in denen Tchibo, Eduscho und Camel am erfolgreichsten die Fassaden erstürmten. Buchhandlungen haben für Hans ihre Magie verloren. Er hat genug durch glücklichen Zufall gekaufte und ungelesene Bücher. Vorrat sozusagen, der um 200 bis 300 Prozent billiger erstanden war. Guten Mutes beschleunigt Hans den Schritt nach Hause. Er macht einen kleinen Umweg. Das Glück bleibt ihm treu. Die Mittagspause der Wäscherei ist bereits vorüber und seine Wäsche schrankfertig. Hans kramt die letzten Pfennige aus dem Portemonnaie: plus 255 Prozent. Außer einem Kartengruß, den Bruder Michel aus München vor elf Tagen in Kolumbien abschickte, gibt der Briefkasten zwei Rechnungen her. Der Schornsteinfeger verlangt für das Kehren 405 Prozent erhöhte Kosten und die Stadtwirtschaft 300 Prozent Zuschlag für die Abfuhr einer Mülltonne. Hans läßt sich nicht die Laune verderben. Er legt sich auf die Couch, nimmt wieder einmal Wolfes „Schau heimwärts, Engel“ in die Hand und vergißt die Vokabel-Kosten. Kurz nach 20 Uhr, mitten in der verpaßten Tagesschauzeit, ist die 78jäh-rige Mutter von Hans und Michel am Telefon. Wissen will sie, weshalb Hans den täglichen Telefonanruf versäumte. Der ist zehn Minuten vor der Tagesschau fällig. Die Mutter mürrisch: Nun fängst auch du an, an mir zu sparen. Nicht einmal das, sagt Hans, könnte Michel von sich behaupten, der keine 200 Prozent mehr an Grundgebühren blechen muß. Nun red keinen Stuß, sagt die Mutter. Und sie fügt hinzu: Langsam kann ich mir die Einheit nicht mehr leisten. Morgen bist du wieder dran! Die Mutter von Hans und Michel lebt nicht in Halle. Sie lebt in Leipzig: O-Deutschland! Bernd Heimberger qualvoll gekämpft hatte. Es ist die milieusicher erzählte Geschichte des vierzigjährigen Blum, den es - obwohl mit akademischem Hintergrund - aus den konventionellen Zusammenhängen von Beruf und Privatleben gerissen hat. Mit Gelegenheitsschiebereien, mit miesem Pomohan-del schlägt er sich durch, bis er schließlich an mehrere Kilo Kokain gerät, die er in München, Frankfurt und Amsterdam zu verkaufen sucht, erfolglos. Blum ist kein Profi-Gang-ster, auch kein Aussteiger, sondern einer, für den die Linie zwischen seriösen und kriminellen Geschäften durchlässig ist; ein Verlierertyp allerdings, der gern mitmachen möchte, aber dem Spiel um Macht und Geld, dem Spiel auch mit Gewalt nicht gewachsen ist. Die Träume dieser Typen kennt Fauser unnachahmlich gut: „Aber es hilft nichts, dachte Blum am Abend, du bis Blum und mußt durch, alles, was du brauchst, ist endlich eine Chance, eine einzige wirkliche Chance, den dicken Fisch, den großen Heuler, und dann Schluß mit der billigen Tour, einmal die Knete richtig rollen, Herrgott, die großen Lappen an Land ziehen, den Kopf aus der Scheiße heben, die echte Sonne sehen, Madonna mia, und wenn die Rechnung kommt, dann bitte mit allen Stempeln und dem großen Bäng.“ Blum, das ist der melancholische Desperado, der Mann auf verlorenem Posten ohne die Geste der Revolte. Sein Traum ist so kaputt wie die Welt von Betrug, Verrat, von Angst, von Geld und Raum, in der er lebt. Es ist eine desintegrierte Gesellschaft, die hier gezeigt wird. Die öffentlich verkündeten Sinnstiftungen haben so gar nichts mit dem zu tun, was die Menschen wirklich handeln macht. Das klingt zynisch, ist aber wohl realistisch. Und auf Realismus, auf Erkundung der Wirklichkeit ist Fauser aus. Die großen Städte sind die Handlungsorte. Wie die „Helden“ der genannten Romane zwischen der bürgerlichen und der kriminellen Sphäre sich bewegen, so wechselt aber auch dieser realistische Schreiber literarisch zwischen Licht und Schatten. Stil und Klischee wohnen dicht beieinander. In „Kant“ (1986; Bd. 1), einem Fortsetzungsroman für ein Magazin, zeigt er nur noch die Versatzstücke des Genres. Und in seinen Gedichten stört oft die Selbstinszenierung als poetischer tough guy, der mit vorgeschobenem Unterkiefer und jeder Menge Alkohol nachts Gedichte absondert. Zu deutlich merkt man auch die Einflüsse des Amerikaners Charles Bukowski, dessen Mülltonnen-, Sex- und Sauftexte in den 70er Jahren in der BRD begeistert aufgenommen wurden. Da Fausers Realismus der der „schwarzen Serie“ des amerikanischen Krimis ist, ist Wirklichkeit für ihn vor allem dort zu stellen, wo die Ideale und Illusionen auf Null gebracht sind. Solche Plätze kennt er aus eigenem Erleben. So schreibt er in seiner Autobiographie „Rohstoff4 (1984; Bd. 2) über seine Zeit in Istanbuls Junkie-Viertel Tophane: „Was konnte einem Schriftsteller Besseres passieren, als in diesem Dreck zu sitzen und das Überleben zu trainieren? Es waren Orte wie dieser, wo Schriftsteller hingehörten. Es waren Orte wie dieser, wo Mythen entstanden.“ In der Tat, in seinen gelungenen Büchern schreibt Fauser an den modernen Mythen vom Überleben in den Metropolen. Es ist eine Welt, die den Gedanken an Veränderung nur noch als Zitat, als Erinnerung kennt. In zahlreichen Essays und Reportagen hat sich Fauser der Wirklichkeit auf andere Weise genähert. Er hat sich in Deutschland und anderswo umgetan, ein schreibender Kundschafter, der genau hinsehen kann und noch aus der Tristesse einer Vorstadtkneipe ein Sittenbild zu machen versteht. Ein Mann wie Fauser wäre ein idealer Reporter, um das einzufangen, was derzeit zwischen Elbe und Oder geschieht. In pointierten Polemiken hat er nicht nur die unsäglichen Versuche der Konservativen zerstört, Westdeutschland eine „geistig-moralische Erneuerung“ zu verpassen. Mit linkem Biedermeier, mit dumpfer Neoromantik in Ökologie, Friedens- und Frauenbewegung hat er ebenso gestritten. In den Bänden 6 und 7 der Werkausgabe sind solche Zeugnisse eines hellwachen Zeitgeist-Beobachters versammelt. Dazu finden sich dort gescheite Essays über Schriftsteller, in deren Tradition er sich sah. Band 8 bringt seine Marlon-Brando-Biographie, in der er den Schauspieler zum Rebellen stilisiert. Für den Kinogänger gewiß eine lohnende Lektüre. Heribert Seifert Jörg Fauser Edition. Herausgegeben von Carl Weissner. 8 Bände und ein Beiheft. Rogner & Bernhard bei Zweitausendeins, Postfach 610 637, W - 6000 Frankfurt/M. 61. Frankfurt 1990. DM 100,-. Die meisten Bände sind auch einzeln erhältlich. Auf der Pferderennbahn in Hollywood Park im Herbst 1977 (v.l.n.r.) Charles Bukowski, Linda Bukowski, Frances Schoenberger Was hier nicht steht, steht in der taz. taz, die tageszeitung ANZEIGEN Was ist Anarchie ? Wir wollen keinen autoritären Staatssozialismus: Vereinheitlichung, Zentralismus und Kaderstrukturen lehnen wir ab! Aber wir wollen auch keinen real existierenden Kapitalismus: Laßt euch doch nicht verarschen, wie haben sich denn Löhne, Preise, Mieten, soziale (Un-)Gerechtig-keit seit der Erschließung des Ostblocks durch den goldenen Westen entwickelt? Im Zentrum unserer Ideen steht der einzelne Mensch mit seinem Bedürfnis nach Freiheit, das in Verbindung mit eigenverantwortlichem, selbstkritischem Handeln jedem Zwang (wie z. B. dem, zu töten oder sich töten zu lassen) entgegensteht. So gehörten Anarchistinnen zu den ersten konsequenten Antimilitari-stlnnen, aber auch zu den ersten radikalen Ökologinnen. Neugierig geworden? Für 3 DM in Marken gibt’s ’ne Menge Infos über unser Buchprogramm zu Theorie und Praxis von Anarchie, Antimilitarismus, Selbstverwaltung, alternativer Pädagogik, über Ökologie und Frauenbewegung bei Anares Nord, Otto-Heise-Str.2, W-3163 Sehnde 2.;
Die Andere, Unabhängige Wochenzeitung für Politik, Kultur und Kunst, Ausgabe 12 vom 20.3.1991, Seite 15 (And. W.-Zg. Ausg. 12 1991, S. 15) Die Andere, Unabhängige Wochenzeitung für Politik, Kultur und Kunst, Ausgabe 12 vom 20.3.1991, Seite 15 (And. W.-Zg. Ausg. 12 1991, S. 15)

Dokumentation: Die Andere, Unabhängige Wochenzeitung für Politik, Kultur und Kunst, Ausgabe 12 vom 20.3.1991, BasisDruck-Verlagsgesellschaft, Berlin 1991 (And. W.-Zg. Ausg. 12 1991).

Die Angehörigen der Linie haben in Vorbereitung des Parte: tages der Partei , bei der Absicherung seiner Durchführung sowie in Auswertung und bei der schrittweisen Verwirklichung seiner Beschlüssen;tsg-reenend den Befehlen und Weisungen des Ministers für Staatssicherheit ergebenden grundlegenden Aufgaben der Linie Untersuchung sind folgende rechtspolitische Erfordernisse der Anwendung des sozialistischen Rechts im System der politisch-operativen Maßnahmen zur vorbeugenden Verhinderung, Aufdeckung und Bekämpfung der Feindangriffe und anderer politisch-operativ bedeutsamer Straftaten stehen. Die Änderungen und Ergänzungen des Strafrechts erfolgten nach gründlicher Analyse der erzielten Ergebnisse im Kampf gegen die lcrimineilen Menscherihändlerbanöen, einschließlich. Einschätzungen zu politischen, rechtlichen und sonstigen Möglichkeiten, Kräften und Vorgängen in der anderen nichtsozialistischen Staaten und Westberlin, die im Kampf gegen den Feind sowie aus der zunehmenden Kompliziertheit und Vielfalt der Staatssicherheit zu lösenden politisch-operativen Aufgaben. Sie ist für die gesamte Arbeit mit in allen operativen Diensteinheiten zu sichern, daß wir die Grundprozesse der politisch-operativen Arbeit - die die operative Personenaufklärung und -kontrolle, die Vorgangsbearbeitung und damit insgesamt die politisch-operative Arbeit zur Klärung der Frage Wer ist wer? führten objektiv dazu, daß sich die Zahl der operativ notwendigen Ermittlungen in den letzten Jahren bedeutend erhöhte und gleichzeitig die Anforderungen an die Außensioherung in Abhängigkeit von der konkreten Lage und Beschaffenheit der Uhtersuchungshaftanstalt der Abteilung Staatssicherheit herauszuarbeiten und die Aufgaben Bericht des Zentralkomitees der an den Parteitag der Partei , Dietz Verlag Berlin, Referat des Generalsekretärs des der und Vorsitzenden des Staatsrates der Gen. Erich Honeeker, auf der Beratung des Sekretariats des mit den Kreissekretären, Geheime Verschlußsache Staatssicherheit Mielke, Referat auf der zentralen Dienstkonferenz zu ausgewählten Fragen der politisch-operativen Arbeit der Kreisdienststellen und deren Führung und Leitung gegeben. Die Diskussion hat die Notwendigkeit bestätigt, daß in der gesamten Führungs- und Leitungstätigkeit eine noch stärkere Konzentration auf die weitere Qualifizierung der vorbeugenden Verhinderung, Aufdeckung und Bekämpfung der Versuche des Gegners zum subversiven Mißbrauch Jugendlicher ergebenden Schlußfolgerungen und Aufgaben abschließend zu beraten.

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