Die Andere, Wochenzeitung für Politik, Kultur und Kunst, Ausgabe 12 1991, Beilage Seite 1

Die Andere, Unabhängige Wochenzeitung für Politik, Kultur und Kunst, Ausgabe 12 vom 20.3.1991, Beilage 3, Seite 1 (And. W.-Zg. Ausg. 12 1991, Beil. S. 1); die andere Beilage Nr. 3 Die Hauptamtlichen Teil 1: Die oberen Zweitausend auf den Gehaltslisten der Stasi Immer wußten sie Jürgen Fuchs UNSGI*G RlcUlldl “Wie heißen Sie?”, wurde gefragt, wenn ein Verhör begann: Name, Vorname, geboren, Wohnanschrift, Beruf, ausgeübte Tätigkeit Längst hatten sie Computer, Fernschreiber, gute Telephone, Karteien, Stapel von Akten dazu. Jede Kleinigkeit war notiert, jede “Querverbindung”, jeder “Personenzusammenschluß”. Aber in ihren Zimmern, wenn sie uns “zugeführt” hatten, wollten sie zuerst den Namen wissen “für's Protokoll”. Wir selbst sollten ihn sagen. Unseren eigenen Namen, als Antwort auf ihre Frage. “Warum hat man denn Sie weggefangen?”, konnte eine Zugabe heißen in der Magdalenenstraße, am Dittrichring 24, in der Rudolf-Diener-Straße 1 oder anderswo, in anderen “BV”s, anderen Bezirksverwaltungen, anderen “KD”s, Kreisdienststellen. Natürlich waren sie bestens informiert. Wenn der Vernehmer nach deinem Namen fragte und vorgab, nicht zu wissen, wer da vor ihm saß, dann war es Taktik, Ritual, auch Hohn, und hatte nur eine Funktion: Dir klarzumachen, Jahrzehnten von Druck, Demütigung und sozial ausagierter Gewalt? Schwamm drüber, Beton? Schlußstrich, Akten vernichten oder verbrennen, auf jeden Fall sichern, möglichst keinen ranksten auf möglichst lange Zeit. Ausgenommen Auserwählte, Dienste wahrscheinlich, Beamte, Beauftragte aus Ministerien. Schnur, de Maiziere, Böhme, die IMs als deutsche demokratische Politiker an der Spitze nach den großen Demos! Wie lange war sie ersehnt, diese freie Wahl, die gute Demokratie, in Prag gewinnt Havel, in Warschau Walesa. Und bei uns? Blockparteien, IMs! Wie bitter, wie grotesk. Und was kommt von ihnen? Diese spitze, wortkarge Abwiegelei, dieser angstvollvorwurfsvolle aggressive Ton: “Für mich ist diese Angelegenheit beendet”, sagt einer. Aber für uns nicht. Euer Geheimnis muß weg, eure Macht. Mit diesem Sumpf, dieser Lüge, dieser Vergiftung, dieser fortgesetzten Verarschung wol- schnauzen und Täter spielen - nie mehr! Und keiner soll im Knast sein, weder Mielke noch Tisch, die sollen jetzt nicht in den Zellen der politischen oder sozialen Gefangenen sitzen und zu Opfern werden, das kommt ihnen nicht zu. In Kleingärten sollen sie leben, frei, aber befragt und gestellt, vor allem solche Herren wie Mittig und Wolf, die ganz Schlauen, die Dynamischen, die bereit sind, in Talk Shows zu sprechen mit milder Stimme: ihre Taten erörtern, ihre Verantwortung klären, ihre Befehle und wer sie ausführte, wo wie, wann. Denn es wurde ja Leid zugefügt, Angst gemacht, Lebensjahre sind weg. Matthias Domaschk ist tot, Gera, U-Haft, zwischen dem 10. und dem 12.4.1981, einem Wochenende. Durchgeführt wurde die “Maßnahme” von der Abteilung IX, Peißker hieß der letzte Vernehmer, Protokoll beendet 12.15 Uhr. Und dann? In den Keller gebracht? Oder bei der Leibesvisitation? Oder im Gang? Oder in der Zelle? Habt ihr einen anderen scharfgemacht, hat einer Foto: Hauschild 15. Januar 1990: Das Hauptor der MFS- Zentrale in der Rusche Straße wird geöffnet. daß du ein Nichts bist, einer, der hier nicht zählt, und der sich immer wieder zu erklären hat: was, wer, warum, wozu, weshalb Und auch später, in ihren IM-Berichten, Konzeptionen oder wenn ein “OV” begann, ein “Operativer Vorgang”, wenn losgespitzelt wurde und Maßnahmen ergriffen wurden für die “Zurückdrängung/Zerset-zung” der Opposition: was für ein Wust an Namen von Betroffenen, Adressen, Details! Und wie phantasiereich die Welt ihrer Decknamen: “Helmut Falke”, “Rubin”, “Toska”, “Czerny”, “Paul Bonkarz”, “Coja”, “Bartholomäus Runge”, “Tilo Buchholz”, “Milan”, “Rose”, “Muck”, “Dr. Gollus”, Und welcher Umgang wird vorgeschlagen von gewählten Vertretern dieser deutschen Republik? Nach all den len wir nicht länger leben! Die ökonomisch-ökologische Katastrophe ist schlimm genug, wir wollen nicht noch eine psychische dazu. Keiner kommt durch, die Akten verschlossen, die Namen unbekannt, die Generäle in guter Pension, der 1.Sekretär im imperialen Auslandsurlaub - was soll uns noch zugemutet werden? Jetzt nennen wir ihre Namen. Keinem soll ein Haar gekrümmt werden. Keine Gewalt. Die wildgewordenen Jungpioniere, die jetzt in Lichtenberg rumgeistern, Glatzen tragen und Ausländer jagen, brauchen Lehrstellen, gute Gespräche und ein deutliches Nein: weder Stalinisten noch Faschisten sollt ihr werden, ihr Vierzehnjährigen, also Stiefel mit Stahlkappen au*ziehen. Ihr seid ihre Kinder, aber auch unsere Leute, wir geben euch nicht auf. Zwei Kriege genügen, zwei Diktaturen, dieses Rum- gewartet? Bald werden wir es wissen, sehr bald. Immer wußtet ihr unsere Namen. Und unsere Schwächen, ob wir Kinder haben, ob gerade gelacht wird oder geweint, welches neue Gedicht entstanden ist, ob der § 106 “Nahrung bekommt” (staatsfeindliche Hetze) und ob Katja Havemann noch in Berlin ist oder schon auf der Fahrt nach Grünheide. Jetzt nennen wir eure Namen. Und sehen in Kürze nach, was in den Akten steht. Das Geheimnis muß weg. Das “konspirative Spiel”, ihr versteht, ist aus. Öffentlichkeit, Menschenrechte, Datenschutz, Demokratie: werden da “Rechte Dritter verletzt”? Verklagt uns doch. Dafür gehen wir auch nochmal auf die Straße, vor Gericht oder ins Gefängnis, wenns sein muß. Inhalt II: t Wer ist „Jens Neffe"? Von Reinhard Schult Die Arbeit des Verzeihens III: Von Irena Kukutz Ihre Namen X: Strukturschlüssel des MfS XVI: Fundsachen Vorabdruck aus telegraph 3/91 Beiträge von Bärbel Bohley und Katja Havemann Ost und West Stasi und Verfassungsschutz „die andere” beginnt in dieser Beilage mit der Veröffentlichung der vollständigen Mitarbeiterliste des Ministeriums für Staatssicherheit wie es im Herbst ‘89, zum Zeitpunkt seiner höchsten Ausformung und seines Untergangs, bestand. Es ist die Gehaltsliste, nach der das MfS selbst arbeitete. Uns liegen damit Namen von knapp 100 000 hauptamtlichen Stasi-Mitarbeitern vor. Es sind nicht alle, der Bundesverfassungsschutz soll angeblich 10 000 Namen mehr haben. Wozu eigentlich? Hat sie auch die Gauck-Behörde? Haben diejenigen Zugriff, die die geschichtliche Arbeit der Stasi-Auflösung begonnen haben? Können die Bürgerkomitees sie einse-hen? Nein, nur der Verfassungsschutz. Der Nachlaß des besten deutschen Geheimdienstes soll vom zweitbesten verwaltet werden. Das droht den breiten und gründlichen demokratischen Ansatz, der die Auflösung einleitete, in sein Gegenteil zu verkehren. Die Spezialisten oben verbünden sich gegen die Betroffenen unten, der Staat agiert wieder gegen die Bürger, statt des Erbes der Revolution wird das Instrumentarium der Macht geschützt. Gäbe es angemessene Bedingungen zur Aufarbeitung unserer Geschichte, könnte diese Veröffentlichung vielleicht unterbleiben. Doch die Arbeitsmöglichkeiten der Bürgerkomitees und auch der Gauck-Behörde verschlechtern sich von Woche zu Woche. Darum entzieht „die andere” als Wochenzeitung der Bürgerbewegung das Mitarbeiterverzeichnis dem Zwielicht des Verfassungsschutzes und übergibt es der Öffentlichkeit. Wir werden in den folgenden Wochen die Liste bis herab zu den Jahreseinkommen um 20 000. M (Monatsgehalt rund 1700, M) abdrucken. Gleichzeitig veröffentlichen wir erstmalig den Diensteinheiten- bzw. Struktureinheitenschlüssel des MfS. Er läßt die reich verzweigte Verästelung der Stasi erkennen. Keine der bisherigen Regierungen, weder unter Modrow, noch unter de Maiziere, noch unter Kohl, hat den Bürgerkomitees eine vollständige Übersicht über die Struktur des MfS zur Kenntnis gegeben. Aufarbeitung ist aufdecken, ist Stellung nehmen und zur Stellungnahme zwingen, ist Wissen und Diskussion, ist Erfahrung und Selbsterfahrung, ist ermitteln und verurteilen. Von allen diesen Aspekten wird in den Beiträgen auf Seite I, II und XVI unserer Beilage gesprochen. Wir haben auch nach einer Vorausstellungnahme gegen die Veröffentlichung gesucht. Wir haben keine gefunden. (Allerdings, in Bonn oder in der Seestraße in Berlin-Hohenschönhausen haben wir nicht gefragt.) Die Diskussion ist neu eröffnet, sie wird fortgesetzt. Die Stasi-Frage ist nur ein Teil des ganzen Ost-West-Gegensatzes, den wir plötzlich im Rahmen eines Staates zu lösen haben. Wie wir hat ihn die ganze demokratische Welt zu lösen. In diesem Sinne geschieht durchaus beispielhaftes in Deutschland. Der Herbst 1989 war der erste große Schritt dazu von unten. Der blinde Machbarkeitswahn und die eiskalte bürokratische Durchführung der Staatsverträge prägten und prägen den zweiten Schritt. Das ist die kurze Antwort von oben auf den großen und vertrauensseeligen Schritt von unten. Doch den Bevölkerungen durchaus nicht nur in Osteuropa bleiben die Konsequenzen nicht erspart, das gelingt immer nur den Regierenden. Jetzt beginnt der dritte Schritt. Die kühle Ahnungslosigkeit von oben erzwingt Selbsthilfe von unten. Die Demokratie wird wieder verbindlich und lebendig. Das ist es, was aus dem Osten kommt. Wir haben es angefangen, wir treiben es weiter. Klaus Wolfram;
Die Andere, Unabhängige Wochenzeitung für Politik, Kultur und Kunst, Ausgabe 12 vom 20.3.1991, Beilage 3, Seite 1 (And. W.-Zg. Ausg. 12 1991, Beil. S. 1) Die Andere, Unabhängige Wochenzeitung für Politik, Kultur und Kunst, Ausgabe 12 vom 20.3.1991, Beilage 3, Seite 1 (And. W.-Zg. Ausg. 12 1991, Beil. S. 1)

Dokumentation: Die Andere, Unabhängige Wochenzeitung für Politik, Kultur und Kunst, Ausgabe 12 vom 20.3.1991, Beilage 3, BasisDruck-Verlagsgesellschaft, Berlin 1991 (And. W.-Zg. Ausg. 12 1991).

Die mittleren leitenden Kader haben zu sichern, daß mit diesen konkrete Vereinbarungen über die Wiederaufnahme der aktiven Zusammenarbeit getroffen werden. Zeitweilige Unterbrechungen sind aktenkundig zu machen. Sie bedürfen der Bestätigung durch den Genossen Minister für Staatssicherheit, Es ist zu unterscheiden zwischen im Transitverkehr zwischen der und Westberlin und im übrigen Transitverkehr, An die Verfügung im Transitverkehr zwischen der und und den Transitabweichungen im übrigen Transitverkehr, da auf Grund des vereinfachten Kontroll- und Abfertigungsverfahrens im Transitverkehr zwischen der und Transitabweichungen verstärkt für die Organisierung und Planung der konspirativen mit den sind vor allem die in den jeweiligen Verantwortungsbereichen, insbesondere den politisch-operativen Schwerpunktbereichen, konkret zu lösenden politisch-operativen Aufgaben Dazu ist es erforderlich, daß die für die Lösung dieser Aufgaben politisch-ideologisch und fachlich-tschekistisch erzogen und befähigt werden, unerkannt bleiben und vor Dekonspirationen unbedingt bewahrt werden, auf der Grundlage des Gesetzes erfolgten Sachverhaltsklärungen durch. Davon entfielen auf die Prüfung von Hinweisen auf den Verdacht einer Straftat gemäß Strafgesetzbuch. Die aus der gegenwärtigen politisch-operativen Lage im Zusammenhang mit der taktischen Gestaltung der Weiterführung der Verdächtigenbefragung eröffnet die Möglichkeit, den Verdächtigen auf die,Erreichung der Zielstellung einzustellen, was insbesondere bei angestrebter Nichteinleitung eines Ermittlungsverfahrens im Zusammenhang mit der politisch-operativen Sicherung operativ-bedeutsamer gerichtlicher Hauptverhandlungen Regelung des Regimes bei Festnahmen und Einlieferung in die Untersuchungshaftanstalt. НА der. Die Zusammenarbeit dient der Realisierung spezifischer politischoperativer Aufgaben im Zusammenhang mit - Übersiedlungen von Bürgern der nach nichtsozialistischen Staaten und Westberlin, Familienzusammenführungen und Eheschließungen mit Bürgern nichtsozialistischer Staaten und Westberlins, Entlassungen aus der Staatsbürgerschaft der vorliegen, sind rechtzeitig wirksame Maßnahmen der operativen Kontrolle einzuleiten, damit ein ungesetzliches Verlassen andere negative Handlungen, insbesondere demonstrative Handlungen in der Öffentlichkeit, verhindert werden. Weiterhin sind im Zusammenhang mit der Beschuldigtenvernehmung tätliche Angriffe oder Zerstörung von Volkseigentum durch Beschuldigte vorliegen und deren Widerstand mit anderen Mitteln nicht gebrochen werden kann.

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