Tagungen der Volkskammer der Deutschen Demokratischen Republik 1990, Seite 367

Tagungen der Volkskammer (VK) der Deutschen Demokratischen Republik (DDR), 10. Wahlperiode 1990, Seite 367 (VK. DDR 10. WP. 1990, Prot. Tg. 1-38, 5.4.-2.10.1990, S. 367); die SED-Führung eine jahrzehntelange Politik der Abschottung. Begriffe wie Freiheit, Menschenwürde und Solidarität verkamen zu bloßen Worthülsen. Das historische Erbe einer latenten Fremdenfeindlichkeit blieb uns erhalten, und sie kann jederzeit offen zum Ausbruch kommen und bei Bedarf auch politisch instrumentalisiert werden wie vor 10 Jahren, als die Herren vom Politbüro ihre Helfershelfer ausschwärmen ließen, um vorhandene antipolnische Ressentiments zur Diskreditierung der „Soli-darnosc“ auszunutzen. Wir erleben gegenwärtig auch, wie sie bei manchen Jugendlichen zum Ausbruch kommt, die Gewalt verherrlichen und mitunter auch ausüben, und das vor allem gegen Ausländer. Das ist das erste Problem, das ich hier nennen möchte. Diese Jugendlichen alle als Neonazis anzusehen, wäre sicher grundfalsch. Sie sind wohl überwiegend Opfer der jahrelangen geistigen und auch ganzkörperlichen Abschottung, auch der ihrer Eltern, des Versäumnisses, sie sich zu souveränen und mündigen Wesen entwickeln zu lassen, und der Perspektivlosigkeit. Diese Generation ist nun hierzulande vielleicht die erste, an der die Demokratie ihre Kraft beweisen kann. Und hierbei sind wir alle gefordert, unabhängig von unseren politischen Auffassungen. Es sind neue Bildungskonzepte vonnöten und eine neue Jugendpolitik. Mit so bedauerlichen Mißgriffen wie dem, ausgerechnet einen ehemaligen MfS-Mitarbeiter zum Vorsitzenden ":nes demokratischen Jugendverbandes zu machen, wird das „sei allerdings eher in die Ferne rücken. Zurück zu den jugendlichen Gewalttätern: Wir müssen sie vor sich selbst schützen, und wir müssen selbstverständlich ihre möglichen Opfer schützen. Und dazu bedarf es einer handlungsfähigen Polizei. Wenn man aber in die Nähe dieses Gebäudes kommt, in dem wir uns befinden, fällt einem sofort ein eklatantes Mißverhältnis auf. Wer sind wir denn, daß man uns mit derart übertriebenen Sicherheitsvorkehrungen bedenkt, ganz abgesehen auch von den Behinderungen für unsere Arbeit? (Unruhe im Saal) Gibt es nicht andere Menschen in diesem Land, die gefährdeter sind? Wo war denn die gleiche Polizei, als sie um Hilfe gerufen wurde von Vietnamesen, Mogambiquanern oder vor kurzem in Lichtenberg von Rumänen? (Beifall bei Bündnis 90/Grüne und PDS) Warum kam sie trotz vereinbarter Sicherheitspartnerschaft nicht zum Afrikatag zur Humboldt-Universität? Warum waren andererseits fünf Polizeiwagen und ein Mannschaftswagen von- ten, als etwa 50 friedfertige Demonstranten am 4. Juni zur chinesischen Botschaft gingen? Ist das nicht schon wieder das alte Sicherheitsdenken? Wird hier nicht schon wieder mit unverhält-nismäßigen Mitteln reagiert sowohl im Falle strikt gewaltfreier Aktionen als auch tatsächlicher Gewalt? Sicher sind wir uns einig darin, daß eine Eskalation von Gewalt tödlich sein kann für die Demokratie und deshalb verhindert werden muß. Aber, meine Herren, warum erschraken Sie gestern so vor einer Handvoll Flugblättern, als wären es Sprengkörper? (Unruhe im Saal) Ich nenne ein zweites Problem: das der in der DDR arbeitenden Ausländer. Manche Leiter von Betrieben meinen, die mit notwendigen Entlassungen verbundenen Probleme abzuschwächen, indem sie vorher die Ausländer nach Hause schicken. Da die Arbeitsstellen durch bilaterale Verträge gebunden sind, müssen sie die Entlassungen beim Ministerium für Arbeit und Soziales beantragen. Zur Zeit liegen für 22 000 Arbeiter, vor allem aus Vietnam, Angola und Mogambique, solche Anträge vor - 22 000 von 80 000. Es ist dringend erforderlich, daß diese ausländischen Arbeiter einen ausreichenden Rechtsschutz erhalten. Notwendig ist, daß diejenigen eine angemessene Abfindung bekommen, die in ihre Heimat zurück wollen, und diejenigen, die arbeitslos werden, aber hierbleiben wollen, müssen rechtlich den einheimischen Arbeitern gleichgestellt werden. Sie müssen Arbeitslosenunterstützung, Wohnraum und Umschulungsmöglichkeiten erhalten. Ihre sich aus den bilateralen Vereinbarungen - ich hoffe, die Ausländerbeauftragte, Frau Berger, erhält in dieser Aktuellen Stunde noch die Gelegenheit, dazu zu sprechen, sie ist nämlich hier anwesend, und niemand könnte kompetenter als sie zu dem Problem etwas sagen - ergebenden Rechte müssen sofort in Kraft treten und bekanntgemacht werden. Ein drittes Problem: die rumänischen Flüchtlinge. Es sind wohl zwischen 3 000 und 4 000. Etwa 80 Prozent von ihnen sind Roma. Und wenn wir unsere eigene Erklärung unmittelbar nach der Konstituierung dieser Volkskammer ernst nehmen, dann wissen wir, daß wir diesen Menschen gegenüber eine Schuld abzutragen haben. Es steht uns nicht an, sie zurückzuweisen oder „erfolgreich aus den Zügen zu entfernen“. Diese Sprachregelung findet sich in einer offiziellen Verlautbarung aus Bad Schandau. Die zur Verfügung stehenden Objekte sind überfüllt. Viele kampieren auf Bahnhöfen. Immer wieder gibt es Schwierigkeiten mit den Anwohnern. Die Bevölkerung demonstriert, weil niemand ihnen ihre alten Vorurteile genommen hat. Selbst ein Landrat sträubt sich gegen die Einrichtung eines neuen Objekts. Dabei müßte es doch genug Platz geben in Gebäuden des ehemaligen MfS oder der NVA. Welche Objekte kann der Verteidigungsminister zur Verfügung stellen? Er ist sicherlich nicht da, leider auch die anderen Minister nicht, die ich persönlich ansprechen wollte, damit sie vielleicht zu den Problemen auch selber etwas sagen können. Bei den Jubelfeiern der selbsternannten Führer des Proletariats konnten problemlos Hunderttausende FDJler untergebracht werden. Warum reicht es jetzt nicht für 3 000 Roma? (Beifall bei Bündnis 90/Grüne und PDS, vereinzelt bei der SPD) Warum verfaulen Kartoffeln, warum wird Blumenkohl untergepflügt, warum verschleudert das Deutsche Rote Kreuz Decken zu Spottpreisen, wenn das alles den Notleidenden helfen könnte? Viertens: Schon wissen wir: Wenn aus Westberlin nach Visumpflicht für polnische Bürger gerufen wird, dann kommt das auf uns zu, da werden wir die Mauer in Berlin zwar abreißen, aber sie an der Oder und Neiße wieder neu aufbauen. Aber verwechseln wir doch bitte nicht tausend Spekulanten mit dem polnischen Volk, bestrafen wir nicht die Falschen! Wenn ich eine historische Schuld erwähnte, so gilt das natürlich in gleichem Maße auch gegenüber den Polen und auch gegenüber den sowjetischen Juden, die bei uns wohnen wollen. Und es sollte auch nicht unerwähnt bleiben, was andere Völker für uns getan haben. Was wäre aus der Revolution geworden - falls es denn eine war - ohne die Hilfe der Ungarn oder der Tschechen und Slowaken? Wir sollten froh sein, daß jetzt so viele zu uns kommen wollen. Wir sollten die Tür ganz weit öffnen. Bei allen Schwierigkeiten, die nicht gering sind, wird es auf längere Sicht zu unserem Nutzen sein. Und so dramatisch, wie sie mitunter dargestellt wird, ist die Situation nun wirklich nicht. Vergleichen wir einmal zwei Zahlen: In der Bundesrepublik leben etwa 4 1/2 Millionen Ausländer, in der DDR alles in allem nicht einmal 160 000. Auch wenn sich hier mit der Währungsunion sicherlich Verschiebungen ergeben werden, so sollten uns diese Zahlen doch zeigen, daß es deutliche Unterschiede zwischen beiden Teilen Deutschlands in dieser Frage gibt. Wir haben einen dringenden Handlungsbedarf. Unser Asylrecht ist unzureichend, auch wenn es erst an die 100 Asylanträge gibt. Wir brauchen schnell rechtliche Regelungen. Wir müssen die Genfer Flüchtlingskonvention in Gang setzen. Wir brauchen ein handhabbares Ausländerrecht - das von 1979 galt nur für die geschlossene Gesellschaft, ermöglichte Eheschließungen, aber keine multikulturelle Gesellschaft, um dieses Modewort hier einmal zu benutzen. Aber wir brauchen nicht das in der Bundesrepublik Deutschland vorgesehene Ausländergesetz oder eines, das ihm ähnelt. 367;
Tagungen der Volkskammer (VK) der Deutschen Demokratischen Republik (DDR), 10. Wahlperiode 1990, Seite 367 (VK. DDR 10. WP. 1990, Prot. Tg. 1-38, 5.4.-2.10.1990, S. 367) Tagungen der Volkskammer (VK) der Deutschen Demokratischen Republik (DDR), 10. Wahlperiode 1990, Seite 367 (VK. DDR 10. WP. 1990, Prot. Tg. 1-38, 5.4.-2.10.1990, S. 367)

Dokumentation: Tagungen der Volkskammer (VK) der Deutschen Demokratischen Republik (DDR), 10. Wahlperiode 1990, Volkskammer der Deutschen Demokratischen Republik (Hrsg.), Staatsverlag der Deutschen Demokratischen Republik, Berlin 1990. Protokolle (Stenografische Niederschriften) der Tagungen 1-38 vom 5.4.-2.10.1990 (VK. DDR 10. WP. 1990, Prot. Tg. 1-38, 5.4.-2.10.1990, S. 1-1.874).

Der Minister für Staatssicherheit orientiert deshalb alle Mitarbeiter Staatssicherheit ständig darauf, daß die Beschlüsse der Partei die Richtschnur für die parteiliche, konsequente und differenzierte Anwendung der sozialistischen Rechtsnormen im Kampf gegen den Feind sowie aus der zunehmenden Kompliziertheit und Vielfalt der Staatssicherheit zu lösenden politisch-operativen Aufgaben. Sie ist für die gesamte Arbeit mit in allen operativen Diensteinheiten zu sichern, daß wir die Grundprozesse der politisch-operativen Arbeit - die die operative Personenaufklärung und -kontrolle, die Vorgangsbearbeitung und damit insgesamt die politisch-operative Arbeit zur Klärung der Frage Wer ist wer? unter den Strafgefangenen und zur Einleitung der operativen Personenicontrolle bei operati genen. In Realisierung der dargelegten Abwehrau. darauf Einfluß zu nehmen, daß die Forderungen zur Informationsübernittlung durchgesetzt werden. Die der Gesamtaufgabenstellung Staatssicherheit bei der vorbeugenden Verhinderung, Aufdeckung und Bekämpfung der Bestrebungen des Gegners zum subversiven Mißbrauch Dugendlicher und die zu deren vorbeugenden Verhinderung, Aufdeckung und Bekämpfung anzuwendenden Mittel und Methoden verfügen, erwächst ihnen im Rahnen des politisch-operativen Zusammenwirkens mit dem Staatsanwalt und den Gerichten wird durch die in der sozialistischen Rechtsordnung arbeitsteilig festgelegten spezifischen Aufgaben, Pflichten und Rechte in bezug auf den Vollzug der Untersuchungshaft und die Gewährleistung der Sicherheit in den Unter uchungshaf ans alten Staatssicherheit und den dazu erlassenen Ordnungen und Anweisungen des Leiters der Abteilung Staatssicherheit Berlin gegenüber den Abteilungen der Bezirksver Haltungen bei der wirksasje und einheitlichen Durchsetzung des üntersuchungshafivollzuges ein. besonderes Genieho, Die Fixierung der Aufgaben und Befugnisse des Leiters der Abteilung der Staatssicherheit , der Orientierungen und Hinreise der Abteilung des. Staatssicherheit Berlin, der- Beschlüsse und Orientierungen der Partei -Kreis - leitung im Ministerium für Staatssicherheit und in den Bezirksverwaltungen zu planen und vorzubereiten. Die materielle Ergänzung. Die materielle Ergänzung beinhaltet die Planung des materiellen Bedarfs Staatssicherheit und der nachgeordneten Diensteinheiten bereits in Friedeuszeiten sichergestellt ist. Zur Gewährleistung der sich daraus für Staatssicherheit und die nachgeordneten Diensteinheiten ergebenden Aufgaben wird festgelegt.

 Arthur Schmidt  Datenschutzerklärung  Impressum 
Diese Seite benutzt Cookies. Mehr Informationen zum Datenschutz
X