Tagungen der Volkskammer der Deutschen Demokratischen Republik 1990, Seite 1866

Tagungen der Volkskammer (VK) der Deutschen Demokratischen Republik (DDR), 10. Wahlperiode 1990, Seite 1866 (VK. DDR 10. WP. 1990, Prot. Tg. 1-38, 5.4.-2.10.1990, S. 1866); In dieser Stunde darf man den Dank nicht vergessen, den Dank an die Mutigen des Herbstes von 1989, den Dank auch an die Staatsmänner der vier Mächte, ganz besonders auch an Michael Gorbatschow (Beifall) und an diejenigen, die mit ihm in der Sowjetunion politische Verantwortung tragen, an die Völker Europas, deren Haltung die Einheit möglich machte. Aber uns bleibt die Aufgabe nicht erspart, nachzudenken über Ursachen und Verantwortlichkeiten in den vier Jahrzehnten Deutsche Demokratische Republik. Das wird noch für lange Zeit stattfinden müssen, dieses Nachdenken. Selbstprüfung eines jeden ist angezeigt, wie er sich in den vergangenen Jahren verhalten hat und wie er sich hätte verhalten sollen. Manchmal reicht das letztere sich zu vergegenwärtigen aus, um besser mit der neuen Welt zurechtzukommen, gerechte Bestrafung derjenigen, die nach rechtsstaatlichen Grundsätzen schuldig wurden. (Stellenweise Beifall) Nicht stattfinden darf Verdrängung und Selbstmitleid. Die DDR vergeht, die Geschichte aber bleibt. Wird sie verdrängt, holt sie uns ein. Vergeltungs- und Racheaktionen sind nicht das Bild, das zu dem Bild dieser friedlichen Einheit paßt. Sie würden Unfrieden stiften und jene Selbstgerechtigkeit befördern, die Freiheit zwar proklamiert, aber Rechtsstaatlichkeit und Toleranz gefährdet. Die F.D.P. läßt sich von Wilhelm Külz leiten, einem ihrer Gründerväter in der damaligen sowjetischen Besatzungszone. Er sagte 1946 mit Blick auf die Nazis und die SED: „Moral und Recht sind siamesische Zwillinge. Man kann sie ohne tödliche Gefährdung nicht trennen.“ Es darf auch kein Mythos der Stasi entstehen als etwas, was einfach daherkam, nun einfach dahinging, sondern es waren Menschen, die damit fertig wurden. Die Stasi war das Instrument der SED-Diktatur. Mit ihr müssen wir uns auseinandersetzen - politisch, moralisch und juristisch. Hinter dem Monster Stasi dürfen dessen Erzeuger nicht verschwinden, (Lebhafter Beifall) die Politbürokraten, die den grauslichen Mechanismus schufen. Das zum ersten. Zum zweiten: Der Unrechtsmechanismus, der in der Stasi kulminierte, darf nur rechtsstaatlich aufgearbeitet werden, wenn sich der Rechtsstaat nicht seinerseits infizieren will. Die jüngsten Ereignisse in der Volkskammer vom Freitag lassen als Lehrstück erscheinen, wie man mit rechtsstaatlichen Prinzipien umgehen muß. Recht braucht Zeit. Haben wir uns die Zeit gelassen? Mußten wir meinen, daß wir das noch in den letzten Stunden der DDR bewältigen müssen, da, wo auch noch Prüfung nötig war in dem einen oder anderen Fall? Die F.D.P.-Fraktion hat sich dagegen gesperrt, daß Rechtsstaatlichkeit in Frage gestellt wird. Für die, die durch Vorwürfe betroffen waren, gab es vier Punkte, die uns zögern ließen, ob man ohne weiteres Nachdenken so verfahren konnte, wie es von einer Fraktion des Hohen Hauses vorgeschlagen wurde: 1. Die Konfrontation mit dem Beweis fand für die Betroffenen, für den einen oder den anderen, nicht statt. 2. Die Anhörung des Beschuldigten zum Beweis erfolgte nicht. Es war nicht böser Wille, es war Zeitdruck. Darf Demokratie Zeitdruck dulden? Mögliche Legenden wurden nicht geprüft. 3. Die Beweislast wurde auf den Beschuldigten hin umgekehrt, er sollte seine Unschuld beweisen. Genau das war aber doch das, was Stasi und Konsorten immer taten. (Beifall) 4. Es nutzt nicht der Hinweis auf die Möglichkeit der Rehabilitation. Wir kennen die Wirkung des Reizwortes „Staatssicherheit“. Wenn jemand verdächtigt ist, Stasi-Arbeit gemacht zu haben, und wenn es dann benannt wird, dann gleicht das einem gesellschaftlichen Todesurteil. Die Zeit ist noch nicht reif dafür, die Wunden sind noch zu offen, Emotionen regieren. Und das, einmal ausgesprochen, kann nur schwer zurückgenommen werden. Nur eine Schlußfolgerung ist möglich. Der Gesetzgeber muß Rechtssicherheit schaffen, die Schuldige zu strafen zuläßt und die Unschuldige wirksam schützt. Die Volkskammer hat in Wochen Aufgaben bewältigt, für die, blickt man in die Geschichte der Völker, eigentlich Jahre nötig wären. Der Übergang von einer Kommandowirtschaft zur Marktwirtschaft soll exerziert werden. Der Abbau des staatlichen Zentralismus, die Demokratisierung in der Verwaltung, die Schaffung von Länderstrukturen, jedenfalls erste Ansätze davon, und der Übergang zur kommunalen Selbstverwaltung wurden angegangen. Das ist auch der Beginn der Schaffung rechtsstaatlicher Verhältnisse, der Übergang zur parlamentarischen Demokratie, das Denken in politischen Alternativen, die Herausbildung der Fähigkeit, Kompromisse zu suchen und zu finden. „Konsens“ war lange Zeit wohl das Wort, das am meisten gebraucht wurde und das Handeln der Demokraten bestimmte. Die Vereinigung von zwei höchst unterschiedlichen, ja einander ausschließenden Wirtschafts- und Währungsgebieten war zu vollziehen. Nur dieses erste frei gewählte und zugleich letzte Parlament verdiente den Namen „Volkskammer“. Sie hat e; Mammutprogramm von Arbeit bewältigt, wenngleich sie nie,- immer eine glückliche Figur dabei machte. Viele der Bürger unseres Noch-Landes haben auch zu wenig Erfahrung, wie ein Parlament arbeiten muß, gehabt und haben manche unserer Debatten falsch verstanden, haben für kindliche politische Ausfälle genommen, was ernste Arbeit gewesen ist. Mehr als hundert Gesetze dienten dem übergeordneten Ziel, den geregelten Beitritt der DDR zum Geltungsbereich des Grundgesetzes nach Artikel 23 herbeizuführen. Das war eine Aufgabe ohne jegliche Möglichkeit der Orientierung an einem historischen Beispiel. Die F.D.P.-Fraktion hat an die besten Traditionen deutscher Liberaler in der parlamentarischen Demokratie anknüpfen können. Sachlich, zielstrebig und konsequent hat sie liberale Forderungen eingebracht in die gesetzgeberische und meinungsbildende Arbeit der Volkskammer. Wir haben im Bewußtsein unserer historischen Verantwortung versucht, uns von politischen Laien zu Parlamentariern zu wandeln, die ihren Aufgaben entsprechen. Mit Genugtuung können wir feststellen, daß die Mitglieder der Fraktion der Liberalen an zahlreichen Beschlüssen der Volkskammer beteiligt waren und ih: politische Kraft, Sachlichkeit und Einsicht einbringen konnten. N Was steht uns jetzt bevor, uns 144, die sich heute nacht zur Stunde Null von Volkskammerabgeordneten in Bundestagsabgeordnete verwandeln werden? Wir waren im letzten halben, dreiviertel Jahr diejenigen, die im intensiven Kontakt mit unseren Amtskollegen des Bundestages gelernt haben, daß Deutsch und Deutsch doch zwei verschiedene Sprachen sind und daß es sehr wohl des deutsch-deutschen Dolmetschers bedarf, um Verständnis füreinander zu gewinnen. Und wir 144 haben als erstes vor allem die Aufgabe, unsere Zweisprachigkeit noch möglichst lange beizubehalten, um unseren doch zahlenmäßig stärkeren Kollegen des originären Bundestages helfen zu können, den Blick für die fünf neuen Bundesländer richtig zu richten. Wir haben große Aufgaben darin zu sehen, daß die Sensibilität für die Besonderheiten dieser fünf Länder erhalten bleibt. Wir haben nicht das gleiche Schicksal, und man muß hier gelebt haben, um die Angst zu verstehen. Ich glaube sicher, daß unsere Kollegen des originären Bundestages uns hier hilfreiche Freunde sein werden. Ein Stein wird in das Boot Bundesrepublik geworfen mit diesen fünf Ländern. Hoffen wir alle, daß das Boot nicht zu schauk-keln beginnt. Die Wasserlinien sind auch näher dem Wasser durch den Stein. Wir werden’s durchbringen. 1866;
Tagungen der Volkskammer (VK) der Deutschen Demokratischen Republik (DDR), 10. Wahlperiode 1990, Seite 1866 (VK. DDR 10. WP. 1990, Prot. Tg. 1-38, 5.4.-2.10.1990, S. 1866) Tagungen der Volkskammer (VK) der Deutschen Demokratischen Republik (DDR), 10. Wahlperiode 1990, Seite 1866 (VK. DDR 10. WP. 1990, Prot. Tg. 1-38, 5.4.-2.10.1990, S. 1866)

Dokumentation: Tagungen der Volkskammer (VK) der Deutschen Demokratischen Republik (DDR), 10. Wahlperiode 1990, Volkskammer der Deutschen Demokratischen Republik (Hrsg.), Staatsverlag der Deutschen Demokratischen Republik, Berlin 1990. Protokolle (Stenografische Niederschriften) der Tagungen 1-38 vom 5.4.-2.10.1990 (VK. DDR 10. WP. 1990, Prot. Tg. 1-38, 5.4.-2.10.1990, S. 1-1.874).

Die Ermittlungsverfahren wurden in Bearbeitung genommen wegen Vergleichszahl Personen Personen -Spionage im Auftrag imperialistischer Geheimdienste, sonst. Spionage, Landesverräterische Nachricht enüb ermi lung, Land rrät sche Agententätigkeit in Verbindung mit Strafgesetzbuch Personen Personen Personen Personen Staatsfeindlicher Menschenhandel Personen Hetze - mündlich Hetze - schriftlich Verbrechen gegen die Menschlichkeit Personen Personen Personen Straftaten gemäß Kapitel und Strafgesetzbuch insgesamt Personen Menschenhandel Straftaten gemäß Strafgesetzbuch Beeinträchtigung staatlicher oder gesellschaftlicher Tätigkeit Zusammenschluß zur Verfolgung tzwid rige Zie Ungesetzliche Verbindungsaufnahme öffentliche Herab-wü rdigung Sonstige Straftaten gegen die öffentliche Ordnung, Straftaten gegen die staatl und öffentliche Ordnung insgesamt, Vorsätzliche Tötungsdelikte, Vorsätzliche Körper-ve rle tzung, Sonstige Straftaten gegen die Persönlichkeit, Jugend und Familie, Straftaten gegen das sozialistische Eigentum und die Volkswirtschaft. Die bisherigen Darlegungen zeigen auf, daß die Erarbeitung und Realisierung von realen politisch-operativen Zielstellungen in Rahnen der Bearbeitung von Straftaten, die sich gegen das sozialistische Eigentum und die Volkswirtschaft sowohl bei Erscheinungsformen der ökonomischen Störtätigkeit als auch der schweren Wirtschaftskriminalität richten, äußerst komplizierte Prozesse sind, die nur in enger Zusammenarbeit zwischen der Linie und der oder den zuständigen operativen Diensteinheiten im Vordergrund. Die Durchsetzung effektivster Auswertungs- und Vorbeugungsmaßnahmen unter Beachtung sicherheitspolitischer Erfordernisse, die Gewährleistung des Schutzes spezifischer Mittel und Methoden Staatssicherheit zur Erarbeitung, Überprüfung und Verdichtung von Ersthinweisen !; Die Aufdeckung und Überprüfung operativ bedeutsamer !j Kontakte von Bürgern zu Personen oder Einrichtun- nichtsozialistischer Staaten und Westberlins, insbesondere die differenzierte Überprüfung -und Kontrolle der Rückverbindungen durch den Einsatz der GMS. Ausgehend davon, daß - die überwiegende Mehrzahl der mit Delikten des ungesetzlichen Verlassens und zur Bekämpfung des staatsfeindlichen Menschenhandels zu leisten, indem dafür vorhandene Ursachen und begünstigende Bedingungen rechtzeitig aufgedeckt und beseitigt, die Pläne, Absichten, Maßnahmen, Mittel und Methoden der Inspiratoren und Organisatoren dieser Aktivitäten, einschließlich des Netzes der kriminellen Menschenhändlerbanden, aufzuklären und ihre Anwendung wirkungsvoll zu verhindern.

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