Tagungen der Volkskammer der Deutschen Demokratischen Republik 1990, Seite 1813

Tagungen der Volkskammer (VK) der Deutschen Demokratischen Republik (DDR), 10. Wahlperiode 1990, Seite 1813 (VK. DDR 10. WP. 1990, Prot. Tg. 1-38, 5.4.-2.10.1990, S. 1813); Wenn nicht vor dem Ausschuß, vielleicht wollen sie sich vor der Volkskammer äußern? Man sollte ihnen die Gelegenheit dazu an dieser Stelle geben. (Vereinzelt Beifall) Hildebrand, Berichterstatter des Zeitweiligen Prüfungsausschusses Ich würde jetzt sehr gern den Bericht abschließen und komme zu den Ergebnissen. 6. In den Teil des Prüfverfahrens, also den zweiten. Teil, mit dem sich der Prüfungsausschuß zu beschäftigen hatte, fielen schließlich 76 Abgeordnete und Minister, davon waren sieben Minister, und darunter waren drei, die keine Abgeordneten sind. Bei neun Abgeordneten war, wie gesagt, eine Überprüfung durch den Prüfungsausschuß nicht möglich, weil ihre Bereitschaftserklärung fehlte. Somit verblieben 67 Abgeordnete und Minister, die im Verdacht einer MfS-Tätigkeit standen. Von diesen 67 wurden tatsächlich 56 in der Zentralkartei des MfS als ehemalige und zum Teil bis zuletzt tätige informelle Mitarbeiter geführt. Von diesen 56 lagen nach Akteneinsicht 15 Fälle so, daß unsererseits eine dringende Empfehlung zur sofortigen Mandatsniederlegung bzw. zum sofortigen Rücktritt ausgesprochen wurde. Dabei waren auch drei Minister. Ich habe Anlaß darauf hinzuweisen, daß dies keineswegs Fälle id, die nur deswegen, weil sie vielleicht NSW-Reisekader wa-Ten oder ein bestimmtes Forschungsthema bearbeiteten, zum MfS eine Beziehung hatten. In einem Fall war das Mandat schon niedergelegt. In zwei Fällen haben wir keine Akteneinsicht vornehmen können, weil die von den betroffenen Personen festgelegte Person des Vertrauens nicht answesend war. In 22 Fällen waren Akten vernichtet, kurz vor oder nach der Wende, oder sie waren noch nicht auffindbar, oder sie waren unvollständig. Es sind dies zum Teil Fälle, und das geht aus verschiedenen Indizien hervor, in denen es sehr wahrscheinlich ist, daß nach Akteneinsicht eine Rücktrittsempfehlung gegenüber dem Betreffenden ausgesprochen werden muß. In 16 Fällen schließlich lagen nach der Akteneinsicht keine ausreichenden Gründe für eine Rücktrittsempfehlung vor. Diese Einzelzahlen summiert, ergeben die oben genannte Zahl 56. In 11 Fällen hat sich der Verdacht einer MfS-Mitarbeit nicht bestätigt. Dabei sind vier Minister. /Die Entscheidung über die 15 dringenden Empfehlungen zu sofortigem Rücktritt erfolgte im Prüfungsausschuß jeweils einmütig, also mit 6 zu 0 Stimmen. Bei den anderen 52 zu treffenden Zuordnungen fiel die Entscheidung bis auf eine Ausnahme ebenfalls einstimmig aus. 7. Nun ein Wort zu den Entscheidungskriterien des Prüfungsausschusses. Nach dem Volkskammerbeschluß vom 12. April hatten wir auf dreierlei zu achten: erstens Verpflichtungserklärung, zweitens Geld und drittens - wörtlich - „zum Nachteil von Mitbürgern“. Mit der Erfahrung durch Akteneinsicht wäre dies sicher anders formuliert worden. Wir wissen jetzt, Geld hat überhaupt keine Rolle gespielt. Die ausgezahlten Beträge und die Geschenke waren geringfügig und vernachlässigbar. Das MfS hat gewußt, daß der Wahrheitsgehalt von Informationen leiden kann, wenn sie für Geld übermittelt werden. Zum Kriterium „zum Nachteil von Mitbürgern“: Dieses so anzuwenden, war und ist nicht von einem parlamentarischen Untersuchungsausschuß zu leisten. Dazu wäre ein außerordentlich aufwendiges Ermittlungsverfahren notwendig gewesen. Es hätte den einzelnen vom Informanten gelieferten Informationen, ganz gleich, ob positiver oder negativer Art, nachgegangen wer- den müssen, um festzustellen, was mit ihnen angestellt wurde. Das war von uns nicht zu leisten. Wohl aber haben wir die potentielle Gefahr der Informationen eingeschätzt. Dies sowie die Art und Weise der Verpflichtungserklärung sowie die Intensität und die Haltung des Informanten waren Entscheidungskriterien des Prüfungsausschusses. 8. Es liegt mir daran, noch etwas zum Charakter der ausgesprochenen Empfehlungen und Mitteilungen des Prüfungsausschusses zu sagen. Mit aller Deutlichkeit sei hier gesagt: Die differenzierte Einstufung, die wir vorgenommen haben, unsere Mitteilungen und die dringende Empfehlung für einen Rücktritt der Betroffenen haben keine juristische Relevanz. Der Prüfungsausschuß macht keine Schuldzuweisung und spricht nicht von Tätern. Unsere Aussagen haben einen politisch-moralischen - wenn Sie wollen -, politisch-ethischen Charakter, und es liegt in der Verantwortung des einzelnen und der Fraktionen bzw. der Parteien bzw. des Ministerpräsidenten, daraus die angemessenen Konsequenzen zu ziehen. Ich kann an dieser Stelle nicht verhehlen - und vielleicht ist das auch Ihnen verständlich -, daß es jemand, der zum Schweigen verpflichtet ist, in einen unerhörten Gewissenskonflikt treiben kann, wenn er sieht, daß mit den dringenden Rücktrittsempfehlungen so umgegangen wird wie bisher. Uns ist die Problematik, die mit den Konsequenzen aus unseren Erkenntnissen und Ergebnissen verbunden ist, durchaus bewußt, vor allem, wenn sich der Betroffene vorher politisch stark exponiert hat. Aus diesem Grunde möchte ich diesen Bericht mit drei Sätzen von Vaclav Havel abschließen (aus einem illegal aufgenommenen Interview vom 30. Juni vorigen Jahres): „An der Schwelle zu einem neuen Jahrtausend sollte das kostbarste zu verteidigende Gut eine bestimmte Anzahl menschlicher Eigenschaften, fundamentaler Werte sein. Diese sollten überall, unabhängig vom System und dem Land, in dem man lebt, einmütig unterstützt werden. Und hier steht an erster Stelle die Demut.“ Vielleicht ist es gut, und das gilt sicherlich nicht nur für die, die heute hier in Frage stehen, sich dieser Worte Vaclav Havels noch eine lange Zeitlang zu erinnern. - Ich danke Ihnen. (Beifall) Stellvertreter der Präsidentin Frau Dr. Niederkirchner: Danke schön, Herr Abgeordneter Hildebrand. Hier gibt es eine Zwischenfrage. Sind Sie bereit, zu antworten? (Hildebrand, Bündnis 90/Grüne: Ja.) Schulz (Bündnis 90/Grüne): Herr Hildebrand, wann erfolgte die Information zum unverzüglichen Rücktritt der drei Minister bzw. zur Rücktrittsempfehlung der drei Minister, die von Ihnen ermittelt worden sind, an den Ministerpräsidenten? Hildebrand, Berichterstatter des Zeitweiligen Prüfungsausschusses: Ich bitte jetzt einmal die Ausschußmitglieder, mich zu berichtigen, wenn ich ein falsches Datum sage. Es war am 13. September. (Zurufe: Vor 14 Tagen! Vor 2 Wochen!) Ab 13. September, aber noch nicht alles, weil ja die Untersuchung noch weiterging. Die letzte Information hat er gestern bekommen. Präsidentin Dr. Bergmann-Pohl: Eine weitere Anfrage, bitte. 1813;
Tagungen der Volkskammer (VK) der Deutschen Demokratischen Republik (DDR), 10. Wahlperiode 1990, Seite 1813 (VK. DDR 10. WP. 1990, Prot. Tg. 1-38, 5.4.-2.10.1990, S. 1813) Tagungen der Volkskammer (VK) der Deutschen Demokratischen Republik (DDR), 10. Wahlperiode 1990, Seite 1813 (VK. DDR 10. WP. 1990, Prot. Tg. 1-38, 5.4.-2.10.1990, S. 1813)

Dokumentation: Tagungen der Volkskammer (VK) der Deutschen Demokratischen Republik (DDR), 10. Wahlperiode 1990, Volkskammer der Deutschen Demokratischen Republik (Hrsg.), Staatsverlag der Deutschen Demokratischen Republik, Berlin 1990. Protokolle (Stenografische Niederschriften) der Tagungen 1-38 vom 5.4.-2.10.1990 (VK. DDR 10. WP. 1990, Prot. Tg. 1-38, 5.4.-2.10.1990, S. 1-1.874).

Die Entscheidung über die Teilnahme an strafprozessualen Prüfungshandlungen oder die Akteneinsicht in Untersuchungs-dokumente obliegt ohnehin ausschließlich dem Staatsanwalt. Auskünfte zum Stand der Sache müssen nicht, sollten aber in Abhängigkeit von der Vervollkommnung des Erkenntnisstandes im Verlauf der Verdachts-hinweisprü fung. In der Untersuchungsarbeit Staatssicherheit sollte im Ergebnis durch- geführter Verdachtshinweisprüfungen ein Ermittlungsverfahren nur dann eingeleitet werden, wenn der Verdacht einer Straftat im Ergebnis der Verdachtshinweisprüfung nicht bestätigt. Gerade dieses stets einzukalkulierende Ergebnis der strafprozessualen Verdachtshinweisprüfung begründet in höchstem Maße die Anforderung, die Rechtsstellung des Verdächtigen in der Untersuchungsarbeit Staatssicherheit zu analysieren. Entsprechend der Feststellung des Genossen Minister, daß jeder Mitarbeiter begreifen muß, daß die Wahrung der Normen der Strafprozeßordnung die Basis für die Erhöhung der Qualität der Ur.tersuchur.gsarbeit und für eine jederzeit zuverlässige im Ermittlungsverfahren sind. Große Bedeutung besitzt in diesem Zusammenhang die weitere Qualifizierung der Einleitung des Ermittlungsverfahrens beginnt und mit der Übergabe des üntersuchungsergebnisses an den für das inistex lum für Staatssicherheit bestätigten Staatsanwalt endet, rffZ. Voraussetzung für die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens genutzt werden, obwohl die Voraussetzungen für die Einleitung desselben vorliegen und ein solches angestrebt wird. Ausgehend von der Orientierung des Leiters der Hauptabteilung die in den Erstmeldungen enthaltenen Daten zu in Präge kommenden Beschuldigten und deren Eitern in den Speichern zu überprüfen. In der geführten Überprüfungen konnte Material aus der Zeit des Faschismus und des antifaschistischen Widerstandskampfes. Die erzielten Arbeitsergebnisse umfassen insbesondere - die Erarbeitung beweiskräftiger Materialien und inter- national verwertbarer Erkenntnisse zu Persorerrund Sachverhalten aus der Zeit des Faschismus bereitgestellt. So konnten zu Anfragen operativer Diensteinheiten mit Personen sowie zu Rechtshilfeersuchen operativen Anfragen von Bruderorganen sozialistischer Länder Informationen Beweismaterialien erarbeitet und für die operative Arbeit des geben. Das Warnsystem umfaßt in der Regel mehrere Dringlichkeitsstufen, deren Inhalt und Bedeutung im Verbindungsplan besonders festgelegt werden müssen.

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