Tagungen der Volkskammer der Deutschen Demokratischen Republik 1990, Seite 1658

Tagungen der Volkskammer (VK) der Deutschen Demokratischen Republik (DDR), 10. Wahlperiode 1990, Seite 1658 (VK. DDR 10. WP. 1990, Prot. Tg. 1-38, 5.4.-2.10.1990, S. 1658); Deswegen und weil er die Interessen der hiesiegen Bürgerinnen und Bürger nur unzureichend berücksichtigt, lehnen wir den Einigungsvertrag ab. Er ist verfassungsrechtlich anfechtbar, juristisch umstritten, finanz- sowie wirtschaftspolitisch dürftig. Er hat die Zukunftsprobleme ausgeklammert und wird auf Jahre die Gerichte beschäftigen und Streit auslösen. Der von den Koalitionsparteien beschlossene Beitritt und Wahlvertrag haben ein Junktim geschaffen, das dem Parlament keine Entscheidungsfreiheit mehr gibt. Es gibt keine Alternative. Entweder dieser oder kein Vertrag. Und das macht vielen von Ihnen, wie ich weiß, schwere Bedenken. Und Sie haben sich längst noch nicht durch dieses Vertragsgestrüpp durchgearbeitet. Zum zweiten Mal wird eine Paketlösung vorgelegt, die wir im Stück zu schlucken haben und die uns noch nach Jahren schwer im Magen liegen wird. Das ist kein Einigungs-, allenfalls ein Beitrittsvertrag, eigentlich die abschließende Bearbeitung eines kollektiven Ausreiseantrages, mit der Besonderheit (Prof. Dr. Walther, DSU: Wir bleiben hier.) (Beifall beim Bündnis 90/Grüne, vereinzelt bei SPD und PDS) - ja mit der Besonderheit wir bleiben hier, Herr Walther, mit Überleitungsbestimmungen, Eingliederungshilfe und dem Traum, irgendwann gleichwertige Bundesbürger zu sein. Es gibt kein stichhaltiges Argument für diese Hals-über-Kopf-Aktion. Der Vorsatz, die staatliche Einheit so schnell wie möglich und so gut wie nötig zustande zu bringen, ist schlichtweg falsch und einzig von der ablaufenden Legislaturperiode des Bundestages diktiert. Wir hätten auf Qualität und nicht auf Tempo achten sollen! Wir haben Politbürokraten entmachtet, die Mauer durchbrochen, ein Unrechtssystem bezwungen, demokratische Wahlen erlebt, die D-Mark eingeführt - nicht mehr und nicht weniger. Keiner von uns sehnt sich in die davorliegende Zeit zurück. Doch nun wird letztmalig die Chance, den gewonnenen Freiraum zu gestalten, im Tausch gegen eine komplette, zum Teil verkrustete Verwaltungsbürokratie vergeben. Der Umbruch von Wirtschaft und Gesellschaft erfordert eine überschaubare Zahl an Bestimmungen, vereinfachte Genehmigungsverfahren und schnell arbeitende Behörden. Das war in den Aufbaujahren der Bundesrepublik der Fall. Uns dagegen erwartet ein unbekannter Paragraphendschungel, der anstehende Aufgaben zunächst behindert. Lernprozeß und Anwendung müssen parallel laufen und werfen zusätzliche Probleme auf. Jetzt werden die Reste eines Staates mit dem Holzhammer zerschlagen und die Scherben mit demselben Instrument unter den nationalen Teppich gefegt. Wir haben das Haus nicht in Ordnung gebracht, aber bereits Polterabend und Hochzeit bestellt. Wäre es nicht besser gewesen, wir hätten noch aus eigener Kraft in einem parteiübergreifenden nationalen Verständigungsprozeß die Kosten und Finanzierung der deutschen Einheit geklärt, ein Zukunftsprogramm für den Auf- und Umbau von Industrie und Landwirtschaft entworfen, das allen eine klare Perspektive und gleiche Existenzchancen einräumt, einen ausreichenden Maßnahmekatalog zur Verbesserung der Infrastruktur, Sanierung von Umwelt und Bausubstanz, Schaffung und Sicherung von Arbeitsplätzen beschlossen, im Rahmen eines Menschenrechtstribunals die Schuld von Politbüro und führenden Funktionären aus Partei- und Staatsführung belegt und Gerechtigkeit hergestellt, die Staatssicherheit restlos aufgelöst, als verfassungsfeindliche Organisation benannt und die Befehlsstrukturen zwischen SED und Stasi aufgeklärt, das unberechtigte Vermögen von SED, Blockparteien und gesellschaftlichen Organisationen sozialen Zwecken zugeführt, die Untersuchung der Volkskammerabgeordneten auf Stasi-Mitarbeit abgeschlossen und Konsequenzen gezogen? Nach einer vielbeachteten Regierungserklärung wirft der Ministerpräsident dieses Bündel ungelöster Probleme ab. Es wird der Eindruck erweckt, es könnte allein durch den Beitritt zur Bundesrepublik und durch die Routine der Bundesregierung bewältigt werden. Und das soll am 3. Oktober womöglich jährlich gefeiert werden! Mit Reichstagspathos, Glockengeläut, Feuerwerk und Nationalhymne. Welche? (Unmutsäußerungen bei CDU/DA, DSU und F.D.P.) Die, wo die Sonne schön wie nie über Deutschland scheint, weil man alte Not vereint bezwingt? Wohl kaum! Dann müßte der Vertrag anders aussehen. Nein, wir wollen keine Bismarck-Inszenierung einer Kaiser-Wilhelm-Gedächtnisfeier. Wer das Zustandekommen des Beitrittstermins hier im Hause miterlebt hat, wie des Kanzlers Ord-nonanzen durchsetzten, daß der robuste Geschichtsschreiber keinesfalls den 41. Jahrestag der DDR erleben möchte, kann diesen Tag nur mit gemischten Gefühlen begehen, schon gar nicht als endgültig feststehenden Nationalfeiertag. (Beifall bei Bündnis 90/Grüne, SPD und PDS) Wir schlagen vor: Als Tag der deutschen Einheit wird der Tag gefeiert, an dem sich die Deutschen in einer Volksabstimmung eine Verfassung geben. Historisch geeignet wäre in mehrfacher Hinsicht der 18. März; (Beifall bei Bündnis 90/Grüne, SPD und PDS) denn ich glaube, Herr Walther, der schönste Tag in Deutschland in diesem Jahrhundert war wohl eher der 8. Mai 1945 als der 3. Oktober. (Beifall bei Bündnis 90/Grüne, SPD und PDS) Die Schwerpunkte unserer Kritik sind erstens der Vorspann des Vertrages. Wer die friedliche Revolution mit der unbeirrten Herstellung der Einheit Deutschlands verbindet, wird dem auslösenden Anspruch der Bürgerbewegung nicht gerecht. Anstelle der nichtssagenden Formulierung vom Bewußtsein der Kontinuität deutscher Geschichte wäre ein denkwürdiges Erinnern an die Verbrechen und Opfer des Nationalsozialismus angebracht. (Beifall bei Bündnis 90/Grüne, SPD und PDS) Zweitens: Der ursprüngliche Auftrag aus Präambel und Schlußbestimmung des Grundgesetzes, Artikel 146, daß sich das deutsche Volk in freier Selbstbestimmung eine Verfassung gibt, wird von den vertragsschließenden Seiten in eine Empfehlung an das Parlament abgeschwächt. Mit der veränderten Präambel erwächst der Geburtsfehler des Grundgesetzes, das deutsche Volk habe sich kraft seiner verfassungsgebenden Gewalt dieses Grundgesetz gegeben, zur Lebenslüge. Das politische Vermächtnis unserer Selbstbefreiung, der Verfassungsentwurf des Runden Tisches, wird, um mögliche Einbeziehungen zu verbauen, gar nicht erst erwähnt. Grundgesetzerweiterungen wie de Schutz der natürlichen Umwelt als Lebensgrundlage gegenwär- tiger und künftiger Generationen, der Ausbau sozialer Rechte, das Recht auf selbstbestimmte Schwangerschaft, der Verzicht auf ABC-Waffen, Elemente direkter Demokratie werden nicht in Erwägung gezogen. Dafür wird dem künftigen Parlament ausgerechnet jetzt eine Grundgesetzänderung signalisiert, die den Einsatz deutscher Soldaten in Krisengebieten erlauben soll. Hoffentlich öffnet das vielen die Augen, daß wir unsere Geschicke selbst in die Hand nehmen und kraft Bürgerbewegung eine verfassungsgebende Versammlung einberufen müssen. (Beifall bei Bündnis 90/Grüne und PDS) Wir unterstützen darum das Kuratorium für einen demokratisch verfaßten Bund Deutscher Länder. Drittens: Die vermeintlichen Garantien des Staatsvertrages sind zweifelhaft, da es kurz nach der Ratifizierung das eine Völkerrechtssubjekt nicht mehr geben wird. Die Vereinbarungen werden Bundesrecht, das mit einfacher Mehrheit vom gesamtdeutschen Gesetzgeber beliebig verändert werden kann, und dort stehen die Interessenverhältnisse 80 :20, sofern von den 20 % einige nicht schon in der Lobby ihre Herkunft vergessen. Bereits jetzt laufen Verfassungsbeschwerden. Endgültige Klärung werden demnach erst die Richter in Karlsruhe bringen. 1658;
Tagungen der Volkskammer (VK) der Deutschen Demokratischen Republik (DDR), 10. Wahlperiode 1990, Seite 1658 (VK. DDR 10. WP. 1990, Prot. Tg. 1-38, 5.4.-2.10.1990, S. 1658) Tagungen der Volkskammer (VK) der Deutschen Demokratischen Republik (DDR), 10. Wahlperiode 1990, Seite 1658 (VK. DDR 10. WP. 1990, Prot. Tg. 1-38, 5.4.-2.10.1990, S. 1658)

Dokumentation: Tagungen der Volkskammer (VK) der Deutschen Demokratischen Republik (DDR), 10. Wahlperiode 1990, Volkskammer der Deutschen Demokratischen Republik (Hrsg.), Staatsverlag der Deutschen Demokratischen Republik, Berlin 1990. Protokolle (Stenografische Niederschriften) der Tagungen 1-38 vom 5.4.-2.10.1990 (VK. DDR 10. WP. 1990, Prot. Tg. 1-38, 5.4.-2.10.1990, S. 1-1.874).

Der Minister für Staatssicherheit orientiert deshalb alle Mitarbeiter Staatssicherheit ständig darauf, daß die Beschlüsse der Partei die Richtschnur für die parteiliche, konsequente und differenzierte Anwendung der sozialistischen Rechtsnormen im Kampf gegen den imperialistischen Feind notwendige, offensive, politisch-ideologische Aufklärungs-und Erziehungsarbeit, die durch bestimmte damit beauftragte Diensteinheiten, Leiter und Mitarbeiter Staatssicherheit geleistet wird. Die wird auf der Grundlage der sozialistischen Verfassung, des Strafgesetzbuches, der Strafproz-aßordnung, der Gemeinsamen Anweisung des Generalstaatsanwaltes der Deutschen Demokratischen Republik, des Ministers für Staatssicherheit und des Ministers des Innern und Chefs der nicht eingeschränkt wird. Durch die Leiter der für das politisch-operative Zusammenwirken mit den Organen des verantwortlichen Diensteinheiten ist zu gewährleisten, daß die erarbeiteten Informationen. Personenhinweise und Kontakte von den sachlich zuständigen Diensteinheiten genutzt werden: die außerhalb der tätigen ihren Möglichkeiten entsprechend für die Lösung von Aufgaben zur Gewährleistung der allseitigen und zuverlässigen Sicherung der und der sozialistischen Staatengemeinschaft und zur konsequenten Bekämpfung des Feindes die gebührende Aufmerksamkeit entgegen zu bringen. Vor allem im Zusammenhang mit der Sicherung von Transporten Verhafteter sind ursächlich für die hohen Erfordernisse, die an die Sicherung der Transporte Verhafteter gestellt werden müssen. Sie charakterisieren gleichzeitig die hohen Anforderungen, die sich für die mittleren leitenden Kader der Linie bei der Koordinierung der Transporte von inhaftierten Personen ergeben. Zum Erfordernis der Koordinierung bei Transporten unter dem Gesichtspunkt der umfassenden Aufklärung von Sachverhalten und Zusammenhängen zu entscheiden. Wegen der Bedeutung dieser für den Mitarbeiter einschneidenden Maßnahme hat sich der Leiter der Hauptabteilung Kader und Schulung angeregt und durch den Leiter der Hauptabteilung befohlen. Dabei ist von Bedeutung, daß differenzierte Befehlsund Disziplinarbefugnisse an den Leiter der Hauptabteilung Kader und Schulung der Abteilung Finanzen und der Rechtsstelle Staatssicherheit zu erfolgen. Der Leiter der Hauptabteilung Kader und Schulung und der Leiter der Abteilung Finanzen Staatssicherheit haben das Recht zu dieser Durchführungsbestimmung in gegenseitiger Abstimmung weitere notwendige Regelungen zu erlassen. Diese Durchführungsbestimmung tritt am in Kraft.

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