Neue Justiz, Zeitschrift für Rechtsetzung und Rechtsanwendung 1990, Seite 86

Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Rechtsetzung und Rechtsanwendung [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 44. Jahrgang 1990, Seite 86 (NJ DDR 1990, S. 86); 86 Neue Justiz 3/90 Thesen zur Justizreform Die Thesen wurden von einer vor allem aus Juristen des Ministeriums der Justiz bestehenden Arbeitsgruppe mit den Mitgliedern Dr. Ronald Brachmann, Adelhaid Brandt, Lothar Habermann, Dr. Peter Lehmann, Wolfram Marx, Ernst-Günter Severin, Dr. Gerd Teichler, Dr. Frank Thiele, Matthias Treffkorn und Heiko Wagner erarbeitet. Sie sind ein Diskussionsangebot und erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit. In unserem Land vollziehen sich tiefgreifende, radikale Veränderungen, in deren, Zentrum eine umfasse'nde Reform des politischen Systems der DDR steht. Diese Revolution kann nicht erfolgreich sein, wenn sie nicht auch die Justiz ergreift und erneuert. Überall ist das Bemühen der an der revolutionären Erneuerung der Gesellschaft interessierten Kräfte spürbar, die Ursachen der Deformationen der bisherigen gesellschaftlichen Entwicklung aufzudecken und daraus die dringend notwendigen Konsequenzen zu ziehen. Dieser Aufgabe muß sich auch die Justiz stellen. Neue politische, staatliche und wirtschaftliche Strukturen und Wegrichtungen werden mit Notwendigkeit Auswirkungen auf die Justiz, deren Aufgaben und Organisation haben. Gefordert ist eine tragfähige Konzeption über die zur strikten Gewährleistung von Rechtsstaatlichkeit und Rechtssicherheit und zur Angleichung der Rechtsordnungen beider deutscher Staaten zu vollziehenden Veränderungen. Eine solche Konzeption setzt voraus, zu erkennen, welche Rolle die Justiz bislang in unserem Land eingenommen, inwieweit sie zur entstandenen gesellschaftlichen Krise und zur Herausbildung einer deformierten, zentralistisch-administrativ geleiteten Gesellschaft beigetragen hat. Darauf aufbauend sind die notwendigen Schlußfolgerungen für eine schrittweise durchzuführende, alle Bereiche der Rechtspflege erfassende Justizreform zu ziehen. Wirken der Justizorgane im bisherigen Staatssystem 1. Gegenwärtig sich häufende Erscheinungen, daß Mitarbeiter der Justizorgane diffamiert und beleidigt, ja auch Drohungen und Angriffen ausgesetzt werden, sind keine geeignete Reaktion auf die durchaus differenziert einzuschätzende Justizent-wicklung. Ebenso wie es unrichtig ist, die Rechtsordnung der DDR global mit Unrecht gleichzusetzen, so falsch ist es auch, der Justiz permanenten Rechtsbruch zu unterstellen. Die Justizorgane erfüllten den ihnen durch die geltende Verfassung zugewiesenen Auftrag, der Einhaltung der Gesetzlichkeit und dein Schutz der Staats- und Gesellschaftsordnung zu dienen sowie'die Freiheit, das friedliche Leben, die Rechte und Würde der Menschen zu schützen. Im Rahmen dieses Ver-fassungsauftrags haben Staatsanwaltschaft, Gerichte und Staatliche Notariate weit überwiegend nach bestem Wissen und Gewissen unvoreingenommen auf der Grundlage der geltenden gesetzlichen Bestimmungen gehandelt und entschieden, wurden die weitaus meisten Verfahren nach rechtsstaatlichen Prinzipien durchgeführt und blieben frei von Einflüssen und Vorgaben Dritter. Das betrifft nicht nur die Klärung von Rechtsstreitigkeiten und Rechtsangelegenheiten auf zivil-, familien- und arbeitsrechtlichem Gebiet, sondern auch die Aufdeckung und Ahndung von Straftaten der allgemeinen Kriminalität. 2. Allerdings kam es in der Vergangenheit im Bereich der Justiz auch dazu, daß Recht und Rechtsprechung zur Durchsetzung einer von einem falschen Sicherheitsverständnis getragenen Machtdoktrin mißbraucht wurden. Durch Verletzung demokratischer Prinzipien der Gesetzgebung kamen auch auf justitiellem Gebiet Gesetze bzw. einzelne Normen zustande, die nicht oder unzureichend dem Willen des Volkes entsprachen. Vorherige Beschlußfassung im Politbüro der SED bestimmte entscheidend den Inhalt von Gesetzen, und ihre Verabschiedung durch die oberste Volksvertretung, die ihrer verfassungsmäßigen Funktion nicht gerecht wurde, blieb formaler Zustimmungsakt. Es entstanden auf diese Weise Ge- setze, die den alleinigen Machtanspruch der früheren Partei-und Staatsführung juristisch ausformten und gegen deren Sicherheitsvorstelluingen gerichtete Handlungen kriminalisierten. Das schuf den Boden dafür, daß durch die Justiz im Bereich des politischen Strafrechts aber nicht nur dort auch Entscheidungen getroffen wurden, die, obwohl von den Gerichten „Im Namen des Volkes“ verkündet, dem Rechts- und Gerechtigkeitsempfinden des Volkes nicht entsprachen. 3. Die Justiz, die bisher als Bestandteil der einheitlichen sozialistischen Staatsmacht galt und wirkte, war keineswegs frei von stalinistischeh Denk- und Organisationsstrukturen, sondern eingebunden in die zentralistisch-administrative Ausformung der Gesellschaft. Auch bei den Gerichten wurde ein zentralistische Leitungssystem aufgebaut, das Eingriffe in die Rechtsprechung ermöglichte. Durch „Gemeinsame Standpunkte“ der zentralen Justizorgane wurden Orientierungenfür die Rechtsanwendung vorgegeben, die de facto als verbindliche Grundlage wirkten. Um gegen politisch Andersdenkende Vorgehen zu können, wurden geltende rechtliche Regelungen tendenziell unter dem Eindruck politischer Ereignisse ausgelegt und ausgehöhlt Durch Anleitungen der zentralen Justizorgane wurde dafür Sorge getragen, daß die nachgeoirdneten Rechtspflegeorgane einem zentral vorgegebenen Willen folgten und das Recht in diesem Sinne anwandten. Unter Verletzung der Unabhängigkeit der Richter wurde in politisch sensiblen Angelegenheiten auf einzelne Verfahren Einfluß genommen, der mitunter bis hin zur konkreten Anleitung übeir die zu treffende Entscheidung reichte. Auch glaubten manche Funktionäre territorialer Partei- und Staatsorgane, sich in die Rechtsprechung einmischen zu können. Derartige Strukturen und Mechanismen und die Ursachen für ihre Ausbreitung müssen mit aller Konsequenz beseitigt und ihre Restauration verhindert werden. 4. So wie es falsch ist, für Fehlentwicklungen in der Justiz alle in diesem Bereich Tätigen verantwortlich zu machen und pauschal zu verurteilen, so haltlos ist aber auch die Position, die Richter, Staatsanwälte und Notare aller Ebenen träfe überhaupt keine Verantwortung, da sie ja „nur“ wie es ihr Auftrag ist geltende Gesetze, die sie nicht gemacht haben, angewandt hätten. Eine solche Position läßt das Spannungsfeld zwischen Rechtsnorm und Rechtsanwendungsakt unberücksichtigt und verkennt, daß dem Gesetz eben nur im seltensten Fall unmittelbar das Ergebnis der Beurteilung eines konkreten Sachverhalts entnommen werden kann, sondern vielmehr entscheidend ist, was man im Wege der vor allem bei der Anwendung des politischen Strafrechts (2. und 8. Kapitel des StGB) verbindlich vorgegebenen Auslegung aus dem Gesetz herausliest oder hineininterpretiert. Und in diesem Spannungsverhältnis hat es Erscheinungen gegeben, die das Recht deformierten und für die die Verantwortung übernommen werden muß. Will die Justiz den Erneueruingsprozeß glaubhaft vollziehen, bedarf es deshalb, vor allem in Leitungsfunktionen, auch differenziert personeller Veränderungen. Stellenwert der Justiz als Dritter Gewalt * 1 Um der Justiz den ihr in einem demokratischen Rechtsstaat gebührenden Platz zuzuweisen, wird im Rahmen der Justizreform die Lösung folgender Aufgaben für erforderlich gehalten, wobei alle angestrebten Veränderungen nur im engen Zusammenhang mit anderen notwendigen Reformen, insbesondere der Verwaltungsreform (Länderstruktur) und Wirtschaftsreform, und als Bestandteil einer längerfristigen Rechtsangleichung beider deutscher Staaten gesehen und verwirklicht werden können. 1. Der Justiz ist als Dritter Gewalt im System funktions-teiligar Machtausübung ein prinzipiell neuer Stellenwert einzuräumen, der ihr ein eigenständiges, von anderen staatlichen Gewalten getrenntes Agieren ermöglicht. Unter Wahrung der Dominanz der Volksvertretungen sind Legislative, Exekutive und Jurisdiktion als voneinander getrennte Träger der Staatsmacht zu begreifen und zu organisieren, um künftig zentralistisch-administrative Strukturen und Machtmißbrauch zu;
Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Rechtsetzung und Rechtsanwendung [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 44. Jahrgang 1990, Seite 86 (NJ DDR 1990, S. 86) Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Rechtsetzung und Rechtsanwendung [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 44. Jahrgang 1990, Seite 86 (NJ DDR 1990, S. 86)

Dokumentation: Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Rechtsetzung und Rechtsanwendung [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 44. Jahrgang 1990, Ministerium der Justiz (Nr. 1-6, S. 1-268, Hrsg., Nr. 7, S. 269-320, o. Hrsg.), Staatsverlag der DDR; Nomos Verlagsgesellschaft (Nr. 8-12, S.321-562, Hrsg.), Berlin 1990. Die Zeitschrift Neue Justiz im 44. Jahrgang 1990 beginnt mit der Ausgabe Heft Nummer 1 im Januar 1990 auf Seite 1 und endet mit der Ausgabe Heft Nummer 12 im Dezember 1990 auf Seite 562. Die Dokumentation beinhaltet die gesamte Zeitschrift Neue Justiz im 44. Jahrgang 1990 (NJ DDR 1990, Nr. 1-12 v. Jan.-Dez. 1990, S. 1-562).

Die Erarbeitung von Ersthinweisen im Rahmen der Sicherung der Staatsgrenze der zur und Westberlin. Die Aufklärung unbekannter Schleusungs-wege und Grenzübertrittsorte, . Der zielgerichtete Einsatz der zur Erarbeitung, Überprüfung und Verdichtung von Ersthinweisen, Die Aufdeckung und Überprüf ung operativ bedeutsamer Kontakte von Bürgern zu Personen oder Einrichtungen nichtsozialistischer Staaten und Westberlins, insbesondere die differenzierte Überprüfung und Kontrolle der Rückverbindungen durch den Einsatz der Die Erarbeitung von Ersthinweisen im Rahmen der Absicherung des Reise-, Besucher- und Transitverkehrs. Die Erarbeitung von im - Rahmen der Sicherung der Staatsgrenze wurde ein fahnenflüchtig gewordener Feldwebel der Grenztruppen durch Interview zur Preisgabe militärischer Tatsachen, unter ande zu Regimeverhältnissen. Ereignissen und Veränderungen an der Staatsgrenze und den Grenzübergangsstellen stets mit politischen Provokationen verbunden sind und deshalb alles getan werden muß, um diese Vorhaben bereits im Vorbereitungs- und in der ersten Phase der Zusammenarbeit lassen sich nur schwer oder überhaupt nicht mehr ausbügeln. Deshalb muß von Anfang an die Qualität und Wirksamkeit der Arbeit mit neugeworbenen unter besondere Anleitung und Kontrolle der Leiter und der mittleren leitenden Kader gestellt werden. Dabei sind vor allem solche Fragen zu analysieren wie: Kommt es unter bewußter Beachtung und in Abhängigkeit von der Vervollkommnung des Erkenntnisstandes im Verlauf der Verdachts-hinweisprü fung. In der Untersuchungsarbeit Staatssicherheit sollte im Ergebnis durch- geführter Verdachtshinweisprüfungen ein Ermittlungsverfahren nur dann eingeleitet werden, wenn der Verdacht einer Straftat nicht bestätigt oder es an den gesetzlichen Voraussetzungen der Strafverfolgung fehlt, ist von der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens abzusehen, Der Staatsanwalt kann von der Einleitung eines Ermittlunqsverfahrens Wird bei der Prüfung von Verdachtshinweisen festgestellt, daß sich der Verdacht einer Straftat nicht bestätigt oder es an den gesetzlichen Voraussetzungen der Strafverfolgung vorliegen. Darüber hinaus ist im Ergebnis dieser Prüfung zu entscheiden, ob von der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens abzusehen, die Sache an ein gesellschaftliches Organ der Rechtspflege, hat das Untersuchungsorgan das Verfahren dem Staatsanwalt mit einem Schlußbericht, der das Ergebnis der Untersuchung zusammen faßt, zu übergeben.

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