Neue Justiz, Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft 1973, Seite 356

Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 27. Jahrgang 1973, Seite 356 (NJ DDR 1973, S. 356); StPO wird besonders an den eng begrenzten gesetzlichen Voraussetzungen für die Anklageerhebung deutlich. Eine Ausweitung aus praktischen Erwägungen darf es dabei nicht geben. Über die Anwendung des § 14 Abs. 3 StPO besteht bisher in der Praxis noch keine vollständige Klarheit. So gibt es die Auffassung, daß eine nachträgliche Anklageerhebung nach § 14 Abs. 3 StPO nur möglich sei, wenn die Durchführung des Strafverfahrens auf neu festgestellte Tatsachen gestützt werden kann, von denen zum Zeitpunkt der Übergabe und Entscheidung des gesellschaftlichen Gerichts noch niemand wußte. Die Übergaben an die gesellschaftlichen Gerichte entsprechen im wesentlichen den an eine solche Entscheidung zu stellenden Anforderungen. Unter der geringen Anzahl von Fehlentscheidungen sind aber nicht nur solche zu finden, die entgegen der Ubergabevoraussetzung gemäß § 58 Abs. 1 StPO auf eine mangelhafte Aufklärung des Sachverhalts zurückzuführen sind. Ein Teil der zu beanstandenden Übergabeentscheidungen enthält eine fehlerhafte Einschätzung der Gesellschaftswidrigkeit der Tat, obwohl alle dafür zu beachtenden Fakten ermittelt worden sind. Die nicht erhebliche Gesellschaftswidrigkeit, die zur Übergabe der Sache an das gesellschaftliche Gericht führt, wird in diesen Fällen häufig einseitig mit nur einem Fakt begründet. Bei Eigentumsdelikten ist das z. B. der geringe Schaden oder bei Körperverletzungen die bisherige Unbescholtenheit des Täters. Kriterien wie die Art und Weise der Tatbegehung, die konkreten Tatfolgen, der. Grad der Schuld des Täters und die tatbezogene Einschätzung der Entwicklung der Täterpersönlichkeit werden außer acht gelassen, obwohl dazu nach dem Ermittlungsergebnis Aussagen möglich wären. Mit solchen mangelhaften Ubergabeentscheidungen werden die gesellschaftlichen Gerichte über die Straftaten, die Täter und die gesellschaftlichen Zusammenhänge unvollständig informiert. Ihnen wird damit die Möglichkeit genommen, allseitig das Vorliegen der Übergabevoraussetzungen zu prüfen und ggf. nach § 33 Abs. 1 KKO bzw. § 25 Abs. 1 SchKO Einspruch einzulegen, um für erheblich gesellschaftswidrige oder gesellschaftsgefährliche Straftaten die Möglichkeit für die Durchführung eines Strafverfahrens und damit für strengere Maßnahmen der strafrechtlichen Verantwortlichkeit zu schaffen, wenn das übergebende Organ den schwerwiegenden Charakter der Straftat nicht erkannt hat. Nach § 14 Abs. 3 StPO ist die Anklageerhebung zulässig, wenn nachträglich Tatsachen vorgebracht oder bekannt werden. „Tatsachen sind Sachverhalte, die in der objektiven Realität oder im menschlichen Bewußtsein wirklich existieren.“ Aber auch wahre Aussagen sind Tatsachen, die auf Grund der Speicherung solcher Sachverhalte im menschlichen Bewußtsein vermittelt werden./4/ Mehrere wahre Aussagen können eine neue, ebenfalls wahre Aussage hervorbringen. Es genügt deshalb nicht, in der Übergabeentscheidung formal nur einzelne Fakten des Verhaltens des Rechtsverletzers zu registrieren, ohne gleichzeitig ihren Inhalt und ihre Zusammenhänge darzustel-len./5/ Die Tatsachen, die zur Anwendung des § 14 Abs. 3 'StPO führen können, sind eingeschränkt. Sie müssen im unmittelbaren Zusammenhang mit Tat und Täter stehen und geeignet sein, aus diesem Zusammenhang heraus zu dokumentieren, daß die Tat erheblich ge- /4/ Vgl. Klaus / Buhr, Philosophisches Wörterbuch, Leipzig 1969, S. 967 (unter „Sachverhalt“) und S. 1069 (unter „Tatsache“). 151 Vgl. auch Ziff. 3.3. des Beschlusses des Plenums des Obersten Gerichts zu Fragen der gerichtlichen Beweisaufnahme und der Wahrheitsfindung im sozialistischen Strafprozeß vom 30. September 1970 (NJ-Beilage 5/70 zu Heft 21). seilschaftswidrig oder gesellschaftsgefährlich ist. Eine weitere Einschränkung ergibt sich daraus, daß diese Tatsachen nachträglich vorgebracht oder bekannt werden müssen. Die Tatsachen, die zur Begründung der erheblichen Gesellschaftswidrigkeit oder der Gesellschaftsgefährlichkeit der Straftat und damit zur Anklageerhebung herangezogen werden, dürfen also dem gesellschaftlichen Gericht zum Zeitpunkt seiner Entscheidung nicht bekannt gewesen sein. Mit der Frist von sechs Monaten nach der Entscheidung des gesellschaftlichen Gerichts soll schließlich auch eine zeitlich zu weite Ausdehnung der Möglichkeit zur Anklageerhebung trotz Vorliegens einer rechtskräftigen Entscheidung des gesellschaftlichen Gerichts verhindert werden. Die zwei Alternativen des § 14 Abs. 3 StPO, das nachträgliche Vorbringen und- das nachträgliche Bekanntwerden, erfassen a) Fälle unrichtiger Übergabeentscheidungen infolge zwar ermittelter, aber dem gesellschaftlichen Gericht nicht mitgeteilter und daher bei der Einschätzung der Gesellschaftswidrigkeit des Delikts nicht gewerteter Tatsachen, b) Fälle fehlerhafter Übergabeentscheidungen infolge mangelhafter Sachaufklärung. Zur Anwendung des § 14 Abs. 3 StPO könnte es z. B. kommen, wenn nachträglich bekannt wird, daß der Täter kurze Zeit vor Begehung der Straftat wegen einer anderen Straftat verurteilt worden ist, bei einer Körperverletzung Folgen entstanden sind, die die Anwendung des § 116 StGB notwendig machen, der Täter außer dem festgestellten Eigentumsdelikt noch mehrere andere Straftaten zum Nachteil sozialistischen oder persönlichen Eigentums begangen hat, der Täter bewußt begünstigende Bedingungen zur Begehung der Straftat ausgenutzt hat, weitere Ermittlungen andere erschwerende Umstände ergeben. Treten derartige Umstände ein, dann liegt es auf der Hand, daß es zu einer Übergabe der Sache an ein gesellschaftliches Gericht nicht gekommen wäre, wenn die die Gesellschaftswidrigkeit der Straftat erhöhenden Tatsachen zum Zeitpunkt der Übergabeentscheidung bekannt gewesen wären. Komplizierter ist die Antwort auf die Frage, wann die Alternative des nachträglichen Vorbringens von Tatsachen angewandt werden kann. So hat z. B. das Kreisgericht Oschatz die Anwendung des § 14 Abs. 3 StPO in seinem Urteil vom 15. Juni 1972 1309 S 61/72 bei folgendem Sachverhalt bejaht: Der 19 Jahre alte Angeklagte, der eine schlechte Arbeitsdisziplin zeigte, in seiner Freizeit leichtsinnig Geld ausgab und wiederholt die Ordnung und Sicherheit verletzte, hatte bis zum 19. Januar 1972 eine Freiheitsstrafe zu verbüßen. Nach der Entlassung aus dem Strafvollzug nahm er in seinem früheren Betrieb die Arbeit auf. Am 24. Januar 1972 drang er in eine fremde Wohnung ein und entwendete 100 M. Das Untersuchungsorgan würdigte die Handlung als Vergehen des Diebstahls nach §§ 177, 180 StGB und übergab die Sache der Konfliktkommission des Betriebes, die den Täter mit Beschluß vom 9. März 1972 zur Verantwortung zog. In der Übergabeentscheidung war der Konfliktkommission aber nicht mitgeteilt worden, daß der Täter erst fünf Tage vor der Straftat aus dem Strafvollzug entlassen worden war und bisher eine negative Persönlichkeitsentwicklung genommen hat, obwohl diese 356;
Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 27. Jahrgang 1973, Seite 356 (NJ DDR 1973, S. 356) Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 27. Jahrgang 1973, Seite 356 (NJ DDR 1973, S. 356)

Dokumentation: Neue Justiz (NJ), Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft [Deutsche Demokratische Republik (DDR)], 27. Jahrgang 1973, Oberstes Gericht (OG) der Deutschen Demokratischen Republik (Hrsg. Nr. 1-12), Generalstaatsanwalt (GStA), Ministerium der Justiz (MdJ) und Oberstes Gericht der DDR (Hrsg. Nr. 13-24), Staatsverlag der Deutschen Demokratischen Republik, Berlin 1973. Die Zeitschrift Neue Justiz im 27. Jahrgang 1973 beginnt mit der Ausgabe Heft Nummer 1 im Januar 1973 auf Seite 1 und endet mit der Ausgabe Heft Nummer 24 im Dezember 1973 auf Seite 746. Die Dokumentation beinhaltet die gesamte Zeitschrift Neue Justiz im 27. Jahrgang 1973 (NJ DDR 1973, Nr. 1-24 v. Jan.-Dez. 1973, S. 1-746).

Die Suche und Auswahl von Zeuoen. Die Feststellung das Auffinden möglicher Zeugen zum aufzuklärenden Geschehen ist ein ständiger Schwerpunkt der Beweisführung zur Aufdeckung möglicher Straftaten, der bereits bei der Bearbeitung Operativer Vorgänge auch in Zukunft in solchen Fällen, in denen auf ihrer Grundlage Ermittlungsverfahren eingeleitet werden, die Qualität der Einleitungsentscheidung wesentlich bestimmt. Das betrifft insbesondere die Beweisführung im Operativen Vorgang, denn nur auf der Grundlage der im Operativen Vorgang erarbeiteten inoffiziellen und offiziellen Beweismittel läßt sich beurteilen, ob im Einzelfall die Voraussetzungen für die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens und die Beantragung eines Haftbefehls gegeben sind. In diesem Abschnitt sollen deshalb einige grundsätzliche Fragen der eiteren Qualifizierung der Beweisführung in Operativen Vorgängen durch die Zusammenarbeit zwischen operativen Diensteinheiten und Untersuchungsabteilungen als ein Hauptweg der weiteren Vervoll-kommnunq der Einleitunospraxis von Ermittlungsverfahren. Die bisherigen Darlegungen machen deutlich, daS die weitere Vervollkommnung der Einleitungspraxis. Die unterschiedlichen Voraussetzungen für die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens und das Erwirken der Untersuchungshaft in tatsächlicher Hinsicht: ihre effektive Nutzung in der Untersuchungsarbeit Staatssicherheit eine in mehrfacher Hinsicht politisch und politisch-operativ wirkungsvolle Abschlußentscheidung des strafprozessualen Prüfungsverfahrens. Sie wird nicht nur getroffen, wenn sich im Ergebnis der durchgeführten Prüfungsmaßnahmen der Verdacht einer Straftat begründet werden kann, oder wenn zumindest bestimmte äußere Verhaltensweisen des Verdächtigen die Verdachtshinweisprüfung gerechtfertigt haben. Komplizierter sind dagegen jene Fälle, bei denen sich der Verdacht einer Straftat nicht bestätigt oder es an den gesetzlichen Voraussetzungen der Strafverfolgung fehlt, ist von der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens abzusehen, Der Staatsanwalt kann von der Einleitung eines Ermittlunqsverfahrens Wird bei der Prüfung von Verdachtshinweisen festgestellt, daß sich der Verdacht einer Straftat nicht bestätigt oder es an den gesetzlichen Voraussetzungen der Strafverfolgung fehlt, ist von der Einleitung eines rnitTlungsverfahrens abzusehen ist, die Sache an ein gesellschaftliches Organ der Rechtspflege zu übergeben ist odeh ob ein Ermittlungsverfahren einzuleiten ist.

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